Ukraine: Die Stunde der starken Männer

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Im Donbass geht Oligarch Rinat Achmetow auf Konfrontationskurs zu den Separatisten. Im Rest des Landes gilt der Industrielle Petro Poroschenko als Anwärter für das Präsidentenamt.

Wien/Kiew/Donezk. Um zwölf Uhr Mittag läuten die Glocken der Donezker Preobraschenski-Kathedrale, in Betrieben heulen Sirenen auf und die Autos auf der mehrspurigen Artjom-Straße stimmen zu einem Hupkonzert an. Rinat Achmetow, reichster Ukrainer und größter Arbeitgeber im Donbass, hat ein Kommando gegeben. Ein Zeichen des Protests, das sich tagtäglich wiederholen soll, ein Aufschrei der Bevölkerung gegen die „Banditen“ der „Volksrepublik Donezk“. „Das ist ein Kampf gegen die Einwohner unserer Region. Das ist ein Kampf gegen den Donbass. Das ist ein Völkermord am Donbass“, hat er zuvor mit erregter Stimme in seinem bisher deutlichsten Video gesagt. Ist es der Ordnungsruf des Oligarchen, der um die Zukunft seines Reichtums bangt? Oder eine geschickte Inszenierung kurz vor der Präsidentenwahl, die im Osten zu missglücken droht?

Machtbeweis des Oligarchen

Achmetows Aktionismus geschieht nach langem Nichtstun, das ihm auch als heimliche Unterstützung der prorussischen Aktivisten ausgelegt worden ist. Der Donezker fördere die separatistischen Umtriebe, um ein Gegengewicht zu den neuen Herren in Kiew aufzubauen, mutmaßten Beobachter. Auch seine jetzige Kehrtwende kann diese These nicht vollends entkräften: Womöglich sieht Achmetow kurz vor den Präsidentenwahlen am Sonntag den Zeitpunkt gekommen, Kiew seine Macht zu demonstrieren. Womöglich sind die Separatisten auch zu weit gegangen, schließlich drohen sie dem Oligarchen neuerdings mit Nationalisierung seines Eigentums.

In der Führung der Volksrepublik haben die radikalen, bewaffneten Kräfte, die in der Stadt Slawjansk ihre Basis haben, immer mehr das Sagen. Politische Agenda haben sie keine, sie sind Kriegsherren. Doch ohne Russlands militärisches Eingreifen oder politische Anerkennung wird es ein mühseliger Kampf, und in der Bevölkerung mehren sich erste Zweifel ob der unsicheren Zukunft des Donbass.

Der Osten will nicht wählen

Unklar bleibt, ob das späte Eingreifen Achmetows zu einer Wiederaufnahme des politischen Prozesses führen kann, etwa zu einer breiteren Teilnahme an der Präsidentenwahl in der Ostukraine. Denn selbst die Kandidaten des Ostens, Sergej Tigipko und Michail Dobkin, hatten bislang keinen besonders hohen Rückhalt in der Region: Auch im Donbass erreichen sie nach Angaben einer Umfrage des Instituts „Rating Group“ nur um die zehn Prozent – obwohl sie für die Regionalisierung des Staates und Russisch als zweite Staatssprache Stimmung machen. Da beide eine Vergangenheit bei Viktor Janukowitschs Partei der Regionen haben – Tigipko wurde wegen seiner Kampfkandidatur aus der Partei ausgeschlossen, Dobkin ist Ex-Gouverneur von Charkiw – ist auch ihr Image angekratzt. Die Gruppe der potenziellen Nichtwähler und Unentschiedenen liegt im Osten derzeit bei 60 Prozent.

In allen anderen Regionen der Ukraine ist Petro Poroschenko an erster Stelle – mit großem Abstand zur zweiten prowestlich ausgerichteten Kandidatin Julia Timoschenko. Manche halten seinen Sieg im ersten Wahlgang für möglich.

Obwohl weder Timoschenko noch Poroschenko Neuzugänge in der ukrainischen Politik sind, hat Poroschenko den Vorteil, dass er vergleichsweise unbelastet ist – und nicht polarisiert. Poroschenko präsentiert sich in jeder Hinsicht gemäßigt: als Kandidat, der für die Einheit des Landes steht, als Geschäftsmann, der das Land aus dem Chaos führen wird. Das ist zumindest eine Gemeinsamkeit zwischen Ost- und Westukraine: Da wie dort scheint nach den Umbrüchen der letzten Monate erneut die Stunde der starken Männer zu schlagen.

AUSSICHTSREICHSTE KANDIDATEN NACH POROSCHENKO

Michail Dobkin ist der Kandidat der Partei der Regionen. Der Ex-Gouverneur von Charkiw verspricht Machtumbau zugunsten der Regionen und eine blockfreie Ukraine. Umfragen geben ihm vier Prozent. [ EPA ]

Julia Timoschenkodürfte ihr Ziel, Staatschefin zu werden, verfehlen. Umfragen geben ihr zwischen zehn und 15 Prozent der Stimmen. Sie will die EU-Annäherung des Landes forcieren. [ Reuters ]

Sergej Tigipko gilt als zweiter „Ost“-Kandidat. Er war unter Janukowitsch 2010–2012 Vizepremier. Fünf bis sieben Prozent der Wähler könnten für ihn stimmen. Er setzt auf Gespräche mit der EU und Russland. [ Reuters ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2014)

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