Deutschland: Braune und dunkelrote Gewaltrituale

(c) Reuters (Johannes Eisele)
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Neonazis und Linksautonome entreißen den Gewerkschaften das Monopol über den 1. Mai. Straßenschlachten lassen Debatte über neues NPD-Verbot auflodern.

BERLIN. Noch ist die schwarz-grüne Regierung in Hamburg offiziell gar nicht in Amt und Würden, da hat sie schon ihre erste Feuertaufe zu bestehen: ausgebrannte Autowracks und ein Schlachtfeld voll Scherben und Steinen im links-alternativen Schanzenviertel, in Brand gesteckte Müllcontainer und Barrikaden im ehemaligen Arbeiterviertel Barmbek. So lautet das Fazit nach den 1.Mai-Krawallen.

Von der Explosion der Gewalt war sogar die Polizei überwältigt. Sie spricht von einem „Kleinkrieg“ und von „blanker Aggression“ im Zuge zweier 1.Mai-Demonstrationen.

In Hamburg – wie auch in Nürnberg – hatte die NPD just am 1.Mai zum Demonstrationsmarsch geblasen. Neonazis und Linksautonome haben den Gewerkschaften das Monopol über den 1. Mai entrissen. Während in Mainz SPD-Chef Kurt Beck demonstrativ den Schulterschluss mit den Gewerkschaften probte und unisono mit Gewerkschafts-Boss Michael Sommer neben einem Mindestlohn auch ein NPD-Verbot forderte, enterten Neonazis zwei Waggons eines Regionalzugs nach Hamburg. Sie brachten die Lautsprecheranlage unter ihre Kontrolle und grölten ausländerfeindliche Parolen: „Ab heute transportiert die deutsche Bahn AG Ausländer und Deutsche getrennt.“

Bei der Kundgebung wetterten Redner gegen die „schwule Regierung“ unter CDU-Bürgermeister Ole von Beust, einem bekennenden Homosexuellen. Immer wieder attackierten NPD-Aktivisten Fotografen und Kameraleute.

Autonome machen mobil

Unterdessen machte in der Hansestadt auch die starke links-autonome Szene mobil. In Berlin und Hamburg gehören die Krawalle rund um den 1. Mai längst zum Ritual. Während es jedoch in Berlin weitgehend ruhig blieb – und der Polizeipräsident bei einer Stippvisite in Kreuzberg Zuflucht im Einsatzwagen suchte –, gingen die Autonomen auf die Neonazis los: eine Kollision zwischen den Lieblingsgegnern. Genau eine solche Konfrontation wollte die Polizei vermeiden. Ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts untersagte eine stärkere Abschirmung. Eine Einkesselung, Polizeieskorten und der Einsatz von Wasserwerfern sollten eine Eskalation verhindern. Die Ausschreitungen waren nicht zu stoppen: Die Autonomen lieferten sich heftige Straßenschlachten mit der Polizei, die schwersten seit Jahren.

Ausgerechnet Nürnberg

Auch in Nürnberg kam es zu Übergriffen zwischen Neonazis und ihren linksradikalen Gegnern. In der Stadt der NS-Reichsparteitage war auch die Polit-Prominenz aufmarschiert. Im Vorfeld hatte Charlotte Knobloch, die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, vor Parallelen gewarnt.

Bayerns Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) bezeichnete die NPD als eindeutig verfassungswidrig. Zugleich zeigte er sich skeptisch über ein erneutes Verbotsverfahren gegen die NPD – und offenbarte damit das Dilemma, in dem er und seine Partei stecken.

Im Gegensatz zur SPD, die ein NPD-Verbot trotz verbreiteter interner Zweifel quasi zur Parteidoktrin erhoben hat, schreckt die Union – voran Innenminister Wolfgang Schäuble – vor einem erneuten Gang nach Karlsruhe zurück.

2003 hatte sich SPD-Innenminister Otto Schily eine Blamage eingehandelt, als das Bundesverfassungsgericht ein Verbot an die Bedingung knüpfte, gleichzeitig die Agenten des Verfassungsschutzes aus den Reihen der NPD abzuziehen. Auf die Erkenntnisse der eingeschleusten V-Leute wollte – und will – der Staat vorerst allerdings nicht verzichten.

AUF EINEN BLICK

Die NPD-Strategie zielt auf Provokation ab. Ausgerechnet den 1. Mai, den „Tag der Arbeit“, der sonst den Gewerkschaften vorbehalten ist, hat die NPD ausgewählt, um Flagge zu zeigen. Und dann auch noch in Nürnberg, der Stadt der NS-Parteitage.

Die Kundgebungen der NPD haben auch die linksradikalen Gegner der „braunen“ Schwarzhemden genutzt, um mobil zu machen. In Deutschland ist nun erneut die Debatte über ein NPD-Verbot aufgeflammt, wie es SPD und Gewerkschaften fordern. Die Union lehnt ein Verbotsverfahren ab. Bereits 2003 war ein solcher Versuch beim Verfassungsgericht gescheitert, weil der Staat seine V-Leute aus der NPD hätte abziehen müssen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2008)

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