Türkei: "Das ist ein Polizeistaat"

Türkei:
Türkei: "Das ist ein Polizeistaat"(c) APA/EPA (SEDAT SUNA)
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Die Polizei ging erneut gegen Demonstranten vor. Im Außenamt dementiert man Berichte, wonach Österreicher festgenommen wurden.

Istanbul. Die türkische Polizei ist nach den Protesten am Samstag erneut gewaltsam gegen Demonstranten vorgegangen. In Ankara setzte sie gestern Tränengas und Wasserwerfer gegen mehrere hundert Demonstranten ein. Bei der Kundgebung im Zentrum der türkischen Hauptstadt wollten rund 500 Menschen an die Tötung eines 26-Jährigen genau ein Jahr zuvor erinnern. Er war von Polizisten erschossen worden.

Bereits am Samstag hatten Polizisten in mehreren Städten der Türkei gewaltsam Kundgebungen aufgelöst. Es sollte ein Tag des Widerstands gegen die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan werden, eine Warnung der Gegner des Ministerpräsidenten ein Jahr nach Beginn der Gezi-Unruhen. Doch es kam anders. Das massive Polizeiaufgebot am Gezi-Jahrestag am Samstag demonstrierte die Entschlossenheit der Erdoğan-Regierung, jeden Widerstand zu brechen – und zeigte gleichzeitig, wie groß die Entmutigung in den Reihen ihrer Gegner ist.

Zivilpolizisten mit Knüppeln

Auffällig viele schwarze Rucksäcke mit der Aufschrift „Westpak“ und drei weißen Streifen, die sehr an einen bekannten Sportartikelhersteller erinnern, waren am Gezi-Jahrestag in der Innenstadt der türkischen Metropole zu sehen. Die Rucksäcke gehörten Zivilpolizisten mit Knüppeln, die mit zehntausenden uniformierten Kollegen die geplante Kundgebung der Protestbewegung erdrückten. „Auf jeden Demonstranten kommen zwei Polizisten“, sagte Melih Cetinkus, ein Student, der schon im vergangenen Jahr bei Gezi dabei war.

Damals eroberten die Demonstranten nach einer brutalen Polizeiaktion gegen Umweltschützer den kleinen Gezi-Park und hielten den Park selbst und den angrenzenden Taksim-Platz rund zwei Wochen lang besetzt. Diesmal kommen sie erst gar nicht zum Park und zum Taksim. Rund 25.000 Polizisten sind im Einsatz, um die Gegend abzuriegeln. Die Beamten gehen dabei zeitweise äußerst rabiat vor. Ein Reporter des US-Senders CNN wird vorübergehend festgenommen.

Später berichteten türkische Medien, dass zwei Touristen aus Österreich ebenfalls in Haft seien. Am Sonntag dementierte das Außenministerium. Das Konsulat sei direkt mit der Polizei in Istanbul in Kontakt getreten und diese habe bestätigt, dass keine Österreicher verhaftet worden seien, sagte ein Sprecher des Außenamtes in Wien.

Nach einigen Stunden heftiger Auseinandersetzungen in den Straßen um den Taksim und nach mehr als 200 Festnahmen hat das Großaufgebot der Sicherheitskräfte klar die Oberhand. Die Leute mit den schwarzen Rucksäcken und den Knüppeln haben daran einen großen Anteil, denn sie jagen Demonstranten in die Seitenstraßen. Die Mitglieder der Knüppel-Truppen sind nicht als Polizisten ausgewiesen und tragen keine Nummern oder Namensschilder – damit werden Beschwerden über Polizei-Brutalität von vornherein unmöglich gemacht.

Die im Vergleich zum letzten Jahr recht wenigen Demonstranten ziehen sich angesichts der Übermacht zurück. In der Nähe des abgesperrten Taksim-Platzes stellen am Abend die ersten Restaurants ihre Tische wieder nach draußen, es wird gegessen und getrunken. Der Istanbuler Polizeichef Selami Altinok spricht von einem „schönen Tag“, Kritik des Europarates am Vorgehen der türkischen Polizei wird ignoriert.

„Mag mein Land nicht mehr“

„Sie haben mich dazu gebracht, dass ich mein eigenes Land nicht mehr mag“, sagt Ali, ein 48-jähriger Passant, der auf der Einkaufsstraße Istiklal Caddesi in der Nähe des Taksim-Platzes vom Wasserwerfer- und Tränengaseinsatz der Sicherheitskräfte überrascht wurde. „Die lassen die Leute einfach nicht in Ruhe“, sagt er. „Dies ist ein Polizeistaat“, setzt er mit einem resignierten Kopfschütteln hinzu.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2014)

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