Moldawien: „Nur Stunden gegen Angriff der Russen“

Jurie Leanca
Jurie Leanca(c) APA/EPA/OLIVIER HOSLET (OLIVIER HOSLET)
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Lange könnte Nicht-Nato-Mitglied Moldawien einem russischen Angriff nicht standhalten. Jurie Leanca, Premier des Ukraine-Nachbarn, fordert die Unterstützung Europas.

Kischinau. „Angeblich bietet jede Krise auch eine Chance. Wir suchen unsere Chance noch.“ Jurie Leanca, Moldawiens Premierminister, hat in der schweren geopolitischen Krise seiner Region zumindest nicht den Humor verloren und wirkt ziemlich gelassen.

In exzellentem Englisch und mit ungewöhnlicher Offenheit gibt er österreichischen Journalisten am Rande eines Festes des von Strabag-Gründer Hans Peter Haselsteiner und Spendern finanzierten Concordia-Kinderheims, einen Steinwurf von der Grenze zu Transnistrien entfernt, einen Überblick über die enormen Risken, die aus dem Konflikt in der Ostukraine für sein Land drohen. Moldawien gilt als das viel zitierte Armenhaus Europas und hat wie die Ukraine eine starke russische Minderheit. Bereits vor mehr als 20 Jahren hat sich nach kurzem Bürgerkrieg ein Großteil des Territoriums östlich des Djenstr zur Republik Transnistrien erklärt – Russland-treu, mit Hammer und Sichel im Wappen und international nicht anerkannt.

Die Angst, Russland könnte seine Hegemonieansprüche nach dem Krim-Referendum und den Provokationen in der Ostukraine nach Transnistrien – auf das Moldawien weiter Anspruch erhebt – und später direkt nach Moldawien richten, ist groß.

Nur zwei leichte, immerhin gepanzerte Militärfahrzeuge stehen auf der Straße an der Grenze zu Transnistrien. „Wir geben zwar mehr Geld für unsere Verteidigung aus. Aber wir haben keine Panzer. Wir konnten nur – erstmals seit zehn Jahren – unsere Truppentransporter mit Benzin auftanken und wieder bewegen“, sagt Leancaohne jede Beschönigung.

Lange könnte Nicht-Nato-Mitglied Moldawien einem russischen Angriff nicht standhalten: „Nur wenige Stunden“, meint der moldawische Premier. Das Land sei daher in jeder Hinsicht auf Hilfe Europas angewiesen. Die soll nun stärker werden, noch im Sommer soll das Assoziierungs- und Freihandelsabkommen mit der EU unterzeichnet werden. Das könnte – ähnlich wie nach der Unterschrift in der Ukraine – in Moskau als Provokation gesehen werden.

(C) DiePresse

Kampf gegen die Armut

Für Moldawien geht es um Impulse gegen die Armut: Das Agrarland müsste mehr – etwa Wein und Trauben – exportieren können und dürfen, sagt Leanca. Dass der Mangel an Rechtssicherheit und die Korruption für Investoren ein Problem darstellen, räumt er ein. Manche seiner Maßnahmen dagegen hätten schlicht nicht gegriffen. Er habe etwa Gehälter im öffentlichen Dienst trotz Unverständnis in der Bevölkerung erhöht, um bei den Beamten mehr Unabhängigkeit und Verantwortungsbewusstsein zu schaffen – ohne Erfolg. Nun bittet man die EU-Länder um Entsendung von Richtern und Justizbeamten für mehrere Monate – die härter durchgreifen sollen und einen Lernprozess bei ihren Kollegen in Gang setzen könnten.

Ein weiteres Problem ist die 100-prozentige Abhängigkeit von russischem Gas: Leanca hofft auf eine Pipeline-Anbindung an Rumänien und damit an die EU, wo das Gas freilich ebenfalls knapp ist. Die Gazprom-Preise sind zuletzt deutlich gestiegen – auch schon vor der Ukraine-Krise.

Drohungen aus Moskau

Im November muss Leanca Wahlen schlagen, er ist nicht der Chef seiner Mitte-Rechtspartei und die Koalition aus drei Parteien auch nicht gerade stabil. Stärkste Kraft sind die Kommunisten, die mit Unterstützung Moskaus rechnen können. Er sei dennoch vorsichtig optimistisch: Das BIP-Wachstum liege seit Monaten deutlich über dem der Nachbarn – und der Europäer sowieso. Die Aufhebung der Visa-Pflicht für Moldawier bringe wirtschaftliche Impulse. An eine militärische Auseinandersetzung oder Intervention scheint er nicht zu glauben: Dabei waren die Drohungen in Moskau gegen Moldawien (und Rumänien) zuletzt lauter geworden: Die tausenden Gastarbeiter aus Moldawien könnten aus Russland gewiesen werden: Dann breche eine der wichtigsten Einnahmequellen des Landes weg, so der Kreml.

Tatsächlich ist rund ein Drittel der erwerbstätigen Bevölkerung im Ausland, um Geld zu verdienen: Das führt zu einem gesellschaftlichen Zerfall im Land. Eltern verlassen zu Tausenden ihre Kinder, überlassen sie für Jahre Großeltern, Nachbarn oder sich selbst. Deswegen betreibt die Organisation Concordia Kinder- und Altersheime, übernimmt Betreuung von solchen Rest-Familien in Dörfern. Ein Tropfen auf den heißen Stein, aber, wie Leanca meint, eine wichtige Hilfe. Ohne diese und mehr haben er und das Land keine Chance.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2014)

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