Der neue Präsident der Ukraine erklärte es zu seinem Ziel, die Krim zurückzuholen und sein Land in die EU zu führen. Beides glaubt Poroschenko selbst nicht, beides ist bloß Verhandlungsmasse für Putin.
Petro Poroschenko, der neue ukrainische Präsident, hat seine Karten gleich nach der Angelobung auf den Tisch gelegt. Er will mit Moskau verhandeln, den russischsprachigen Unruheprovinzen im Osten der Ukraine mehr Autonomierechte gewähren, demnächst einen Friedensplan vorlegen, die wirtschaftlichen Kapitel des Assoziierungsabkommens mit der EU rasch unterzeichnen und sein Land später sogar als Vollmitglied in die Union führen. Und, ja, die völkerrechtswidrig annektierte Krim möchte der Schokoladefabrikant natürlich auch wieder zurückhaben.
Mindestens zwei dieser Wünsche haben illusionären Charakter. Solange Wladimir Putin im Kreml sitzt und wohl auch noch danach, wird Russland die Schwarzmeerhalbinsel, die es sich im März einverleibt hat, nicht freiwillig räumen. Und erzwingen können die Ukraine und der Westen eine Rückgabe der Krim nicht. Ebenso unwahrscheinlich ist, dass sich die ohnehin überdehnte EU ein instabiles 45-Millionen-Einwohner-Land aufbürdet. Dennoch eröffnet der Amtsantritt Poroschenkos Chancen. Nicht einmal Russland kann dem demokratisch gewählten Präsidenten der Ukraine nun die Legitimität absprechen. Am Rand der D-Day-Feiern in der Normandie führten Putin und Poroschenko erste informelle Gespräch. Einem Folgetreffen wird sich der Kreml-Chef, der sich dieser Tage dialogbereit zeigt, kaum entziehen können. Ob jedoch ein solcher Gipfel Ergebnisse brächte, bleibt freilich fraglich.
Poroschenkos vorrangiges Ziel ist es, das Land zusammenzuhalten und den Bürgerkrieg in der Ostukraine zu beenden. Doch auf Putins Hilfe kann er dabei kaum zählen. Erstens wird sich der russische Präsident stets auf die fadenscheinige Behauptung zurückziehen, dass er mit den nachweislich von Russland finanzierten und bewaffneten Separatisten nichts zu schaffen habe und sie deshalb auch nicht kontrollieren könne.
Und zweitens wird Putin seinen Zugriff auf die Ostukraine aufrechterhalten, um die Regierung in Kiew weiter unter Druck setzen zu können. So und mit seiner Drohung eines Gaslieferstopps will er verhindern, dass sich die Ex-Sowjetrepublik dem russischen Orbit entzieht und an die EU andockt. Im Endeffekt könnte das Tauziehen die Ukraine zerreißen: in einen Westteil, der sich an Europa orientiert, und in Satelliten von Moskaus Gnaden. Die Überbleibsel zu alimentieren kostet Geld, das weder Europa noch Russland haben. Deshalb geistert die Idee herum, die Ukraine zu neutralisieren und zum Niemandsland zu erklären. Doch wer will den Ukrainern die Möglichkeit rauben, sich frei für die westliche Wertegemeinschaft und gegen ein autoritäres Korruptionsmodell zu entscheiden? Und wer mag Putin nach dem Völkerrechtsbruch auf der Krim trauen?
Der Kreml-Chef setzte zuletzt Entspannungssignale. Ob sie taktischer Natur oder ernst gemeint sind, weiß niemand. Kann sein, dass die bisherigen Kontosperren und Einreiseverbote gegen Putins Umfeld sowie der Kapitalabfluss aus Russland Wirkung gezeigt haben. Vielleicht will Putin aber auch nur weitere Sanktionen abwenden und den Kampf um die Ukraine mit dem kurzatmigen Westen in die Länge ziehen. Poroschenko und die Welt werden es bald herausfinden.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2014)