Irak: Extremisten erobern die Stadt Mosul

(c) REUTERS (STRINGER/IRAQ)
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Die Gruppe Islamischer Staat im Irak und der Levante kontrolliert nun Teile des Nordirak. Der Krieg in Syrien und Wut über die Politik von Premier Maliki verleiht den Jihadisten Aufwind.

Es ist ein peinlicher Gesichtsverlust, eine herbe Niederlage, die Iraks Regierung am Dienstag einstecken musste: „Unsere Militär- und Polizeikräfte haben ihre Stellungen verlassen. Unsere Sicherheitsstrukturen sind zusammengebrochen“, klagte ein irakischer Oberst im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters. „Wir haben heute früh die Stadt Mosul verloren.“

Mosul im Norden des Landes galt bereits in den vergangenen Jahren als Tummelplatz sunnitischer Gruppen, die gegen die Zentralregierung in Bagdad arbeiten und mit der pervertierten Form des Islam sympathisieren, die al-Qaida und andere jihadistische Gruppen predigen. Am Dienstag fiel die zweitgrößte Stadt des Irak aber fast völlig in die Hand von Aufständischen. Nach tagelangen Gefechten besetzten Kämpfer der Fraktion Islamischer Staat im Irak und der Levante (Isil) den Sitz der Provinzregierung, eine Kaserne und mehrere Gefängnisse. Zehntausende Menschen sind auf der Flucht.

Iraks Parlamentspräsident Osama al-Nujaifi gab Dienstagmittag dann auf einer Pressekonferenz bekannt, dass nicht nur die Provinzhauptstadt Mosul, sondern die gesamte nördliche Provinz Ninive in die Hände der Untergrundkämpfer gefallen sei. Iraks Premier Nouri al-Maliki forderte das Parlament auf, in Ninive den Ausnahmezustand auszurufen.

Die Aktion in Mosul scheint Teil einer größeren Offensive. Kämpfer von Isil hatten in den vergangenen Tagen ihre Aktionen im Nordirak intensiviert und sind auch in Iraks Nachbarland Syrien an mehren Frontabschnitten zum Angriff übergegangen.

Streit mit al-Qaida

Zunächst galt „Islamischer Staat im Irak und der Levante“ als Teil des Terrornetzwerkes al-Qaida. Doch mittlerweile hat sich die Gruppe von der al-Qaida-Führung unter Osama Bin Ladens Nachfolger Aiman al-Zawahiri losgesagt. Isil wirft Zawahiri vor, die „Grundsätze des Jihad“ zu verleugnen.

Zawahiri setzt in Syrien auf die al-Nusrah-Brigaden, die im Unterschied zu Isil auch Koalitionen mit weniger extremen Rebellengruppen eingehen. Zudem hatte die al-Qaida-Führung Isil dafür gerügt, durch besonders grausames Vorgehen gegen Zivilisten in Syrien die gemeinsamen Ideen in Misskredit zu bringen. Islamischer Staat im Irak und der Levante hat in dem von ihm kontrollierten Gebiet ein Terrorregime installiert. Wegen geringster Verstöße gegen den von Isil dekretierten Kodex werden Menschen gefoltert und ermordet. Die Extremisten machen gezielt Jagd auf religiöse Minderheiten wie die Yeziden. Zudem sind sie in Syrien in Gefechte mit allen anderen Rebellenfraktionen und vor allem mit kurdischen Einheiten verstrickt.

Die Wurzeln der jihadistischen Gruppe liegen im Irak. Durch den Krieg in Syrien gelang es ihr nicht nur, ihr Territorium zu vergrößern. Sie konnte auch zahlreiche neue Kämpfer rekrutieren, die sich am Feldzug in Syrien beteiligen wollen. Und sie erhielt neue Spenden für Waffen und Ausrüstung – Gelder, die vor allem aus den arabischen Golfstaaten stammen sollen. Und dadurch konnte Isil auch seine Position im Irak stärken.

Beobachter aus dem Umfeld der irakischen Regierung werfen arabischen Golfmonarchien wie Saudiarabien vor, hinter dem Aufstieg von Isil im Irak zu stecken. Die schiitisch dominierte Regierung in Bagdad sympathisiert mit Syriens Machthaber Bashar al-Assad. Über Iraks Luftraum werden iranische Nachschublieferungen für Syriens Regime transportiert. Die sunnitischen Golfmonarchien sehen in Assad und im schiitischen Gottesstaat Iran Feinde. Es wäre also durchaus in ihrem strategischen Interesse, wenn die sunnitische Extremistengruppe Isil die Regierung in Bagdad schwächt.

Aufstand der Sunniten-Stämme

Am Aufstieg von Isil trägt aber auch Iraks Premier Nouri al-Maliki ein gehöriges Maß an Verantwortung. Der schiitische Politiker hat in den vergangenen Jahren im Irak ein autoritäres Führungssystem geschaffen, das von Korruption und Vetternwirtschaft durchzogen ist. Viele Sunniten klagen, in diesem System benachteiligt zu werden.

Vor etwas mehr als einem Jahr begannen deshalb die sunnitischen Stämme in der Provinz Anbar westlich von Bagdad mit zunächst friedlichen Großkundgebungen gegen die Regierung aufzubegehren. Premier Maliki ließ die Proteste niederschlagen.

Die Folge war ein militärischer Aufstand der örtlichen Stämme, den Isil zu kapern versuchte. Mittlerweile kontrollieren die Extremisten große Teil Anbars – und mit der Offensive in Mosul haben sie ihren Einflussbereich nun weiter ausgedehnt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2014)

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