Die Stunde der irakischen Kurden

A man, who fled from the violence in Mosul, walks inside a camp on the outskirts of Arbil
A man, who fled from the violence in Mosul, walks inside a camp on the outskirts of Arbil(c) REUTERS
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Im Kampf gegen den Islamischen Staat im Irak und der Levante bringen kurdische Truppen Gebiete wie Kirkuk unter ihre Kontrolle. Die Schwäche des irakischen Premiers Maliki und seiner Armee stärkt den Einfluss der Kurdenregion.

Die Truppen der Autonomen Region Kurdistan im Irak sammeln ihre Kräfte. Am Freitag rückte ein Peshmerga-Regiment in die Provinz Diyala vor. Die Soldaten wollen dort den Raum um die Stadt Jalawla sichern, in den Kämpfer der Extremistengruppe Islamischer Staat im Irak und der Levante (Isil) eingedrungen sind. Schon in den Tagen zuvor brachten die Peshmerga Kirkuk und das Gebiet um Sinjar unter ihre Kontrolle. Die Soldaten der Kurdenregion waren bisher die Einzigen, die im Norden des Irak der Koalition aus Isil, Ex-Offizieren des Saddam-Regimes und sunnitischen Milizen entgegentraten. Und dabei stießen die Peshmerga auch in Gebiete vor, die – zumindest bisher – nicht Teil der Autonomen Region Kurdistan waren.

Die Presse

In Sinjar leben vor allem Angehörige der religiösen Minderheit der Yeziden, die immer wieder Ziel von Anschlägen extremistischer Gruppierungen waren. Kurdische Kämpfer rückten schon in der Vergangenheit aus, um die Yeziden von Sinjar zu beschützen. Jetzt wird das Gebiet permanent von den Peshmerga gesichert.

Machtloser Maliki

Mit dem Einmarsch in Kirkuk hat die Kurdenregion einen großen strategischen Erfolg erzielt. Bisher kontrollierten Peshmerga nur Teile der Stadt, in der Kurden, Araber und Turkmenen leben. Die kurdische Regierung will Kirkuk seit Jahren der autonomen Kurdenregion anschließen. Mit Bagdad war man übereingekommen, dass ein Referendum Klarheit über Kirkuks Zukunft bringen sollte. Doch die Abstimmung wurde immer wieder verschoben. Jetzt sind die ganze Stadt und das Umland, das reich an Erdöl ist, in der Hand der Peshmerga. Dass diese von dort rasch wieder abziehen werden, scheint unwahrscheinlich.

Die irakische Regierung von Premier Nouri al-Maliki kann dem nichts entgegensetzen. Nachdem sich die irakischen Regierungstruppen aus dem Norden zurückgezogen haben, kann Maliki in Zukunft nur schwer erneut Ansprüche in dieser Region erheben. Derzeit ist er ohnehin damit beschäftigt, die Hauptstadt Bagdad gegen den Angriff von Isil zu verteidigen. Die Vorstöße der kurdischen Truppen stellen dabei sogar eine militärische Entlastung für ihn dar.

Die Peshmerga sind derzeit auch die Einzigen, die Isil wieder aus Mosul vertreiben könnten. Eine kurdische Gegenoffensive auf Iraks zweitgrößte Stadt könnte Malikis Armee im Süden zu einer Atempause verhelfen. Doch zunächst warten die kurdischen Truppen noch ab. Sie standen gestern am Rande Mosuls, um weitere Vorstöße von Isil zu unterbinden.

Zwar ist der Kampf der Peshmerga und der Truppen Malikis gegen den Islamischen Staat im Irak und der Levante ein Kampf gegen eine gemeinsame Bedrohung. Doch Tränen vergießt man in der Autonomen Region Kurdistan nicht darüber, dass Iraks Premier jetzt unter massivem Druck steht. Zuletzt waren die Spannungen mit Bagdad gewachsen. Maliki drohte sogar der Kurdenregion, weil diese ohne seine Zustimmung Erdöl in die Türkei exportierte.

Schon bisher nahm man in der Kurdenhauptstadt Erbil wenig Rücksicht auf die Befindlichkeiten des irakischen Premiers. In Zukunft wird man wohl noch unabhängiger agieren als in den vergangenen Jahren. Einige Beobachter gehen bereits davon aus, dass die Kurdenregion in nächster Zeit sogar die Eigenstaatlichkeit erklären könnte: die Eigenstaatlichkeit eines Gebildes, dass dann auch Gebiete wie Kirkuk – und vielleicht sogar ein zurückerobertes Mosul – umfassen würde.

Die Regierung der Türkei hatte bisher wenig Freude mit der Idee eines Kurdenstaates im Irak, weil man Vorbildwirkung für die eigene große kurdische Volksgruppe befürchtete. Doch mittlerweile ist die Führung der irakischen Kurdenregion eine enge Verbündete des türkischen Premiers Recep Tayyip Erdoğan. Ankara hat einen Friedensprozess mit der in der Türkei aktiven kurdischen Untergrundorganisation PKK gestartet. Dieser ist aber ins Stocken geraten.

Unstimmigkeiten mit der PKK

Dass sich die PKK-Anhänger einem Kurdenstaat im Irak anschließen wollen, hat die Türkei kaum zu befürchten: Die PKK und Iraks Kurdenpräsident Massud Barzani haben unterschiedliche politische Konzepte. Ein in Erbil geplanter Kongress aller kurdischen Parteien wurde vorläufig abgesagt – offenbar wegen Unstimmigkeiten zwischen Barzani und der PKK.

Eines haben die kurdischen Fraktionen gemeinsam. Sie scheinen derzeit die Einzigen zu sein, die Isil in Schach halten können. Auch in Syrien: Dort fügt die PKK-Schwesterpartei PYD den Jihadisten schwere Verluste zu.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2014)

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