Ukraine: Ein Akt der Provokation für Poroschenko

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Der Abschuss eines Transportflugzeugs in der Ukraine durch Separatisten markiert eine neue Phase des Kriegs im Osten des Landes. Es mehren sich die Vorwürfe gegen Russland wegen Waffenhilfe.

Gerade einmal eine Woche währte die politische Gnadenfrist für Petro Poroschenko, den 48-jährigen „Schokobaron“, der sich zum Retter der Ukraine berufen fühlt. Erst am Samstag der Vorwoche hatte er in der Rada, dem Parlament in Kiew, unter den Augen internationaler Prominenz von Joe Biden bis Heinz Fischer seinen Amtseid abgelegt. Als neuer Präsident hat er dabei das Zepter geschwungen und den Patriotismus beschworen. Und er donnerte den Schlachtruf der Aktivisten auf dem Maidan in den Saal: „Ruhm der Ukraine!“ Wie aus einer Kehle hallte es zurück: „Ehre den Helden!“

Acht Tage später hat die Ukraine – neben den hunderten Toten, die der revolutionäre Umsturz seit den klammen Februartagen bereits gefordert hat – 49 neue tote Helden zu beklagen, zerschellt und verbrannt im Bauch einer grauen Iljuschin-Transportmaschine: die höchste Opferzahl seit den Kämpfen auf dem Maidan, seit Heckenschützen die Demonstranten in Kiew gezielt ins Visier genommen hatten.

Nur Stunden nach dem Abschuss der Maschine russischer Machart Samstagfrüh beim Landeanflug auf Lugansk durch eine Flugabwehrrakete und großkalibrige Maschinengewehre, als am Nachthimmel ein greller Blitz aufzuckte, ordnete Poroschenko Staatstrauer an – und schwor zugleich Vergeltung. Zudem stellte seine Leibwache in der Nacht auf Samstag in einem Container Sprengstoff und mehrere Granaten in der Nähe des Tors des Präsidentenpalasts sicher – eine unverhohlene Kampfansage an den neuen Staatschef, den eine deutliche Mehrheit von 55 Prozent der Ukrainer erst vor wenigen Wochen gewählt hat. Der Vorfall markiert eine neue Phase des Kriegs im Osten des Landes.

40 Fallschirmjäger waren an Bord der Iljuschin-Maschine, dazu Nachschub für die seit Monaten von prorussischen Separatisten bedrängten ukrainischen Truppen im Donbass, dem Industrierevier im Osten. Nach zähen Gefechten hatte die Armee in Mariupol gerade die Oberhand gewonnen. Nun sollte sie die Separatisten auch in ihren Hochburgen, in Slawjansk und Lugansk, zurückdrängen. Erst unlängst waren am Flughafen in Lugansk erbitterte Kämpfe ausgebrochen.

Längst haben sich in Kiew wie auch in Washington die Vermutungen zur Gewissheit verdichtet. Über die russisch-ukrainische Grenze, so die Anschuldigungen, rollen Panzer aus russischen Beständen zur Verstärkung der Separatisten. Zudem beziehen sie Waffenhilfe in Form von Raketenwerfern. „Das ist inakzeptabel“, wetterte das US-Außenministerium. Denis Pushilin, einer der prorussischen Rädelsführer, bestätigte die Vorwürfe indirekt. Im russischen Staatsfernsehen erklärte er, es sei nicht angemessen, nach der Herkunft der Waffen zu fragen. Dabei sicherte Russlands Präsident Wladimir Putin Petro Poroschenko gerade erst schärfere Grenzkontrollen zu.

Die beiden hatten einander vor Poroschenkos Angelobung am Rande der Gedenkfeiern zum 70. Jahrestag der Invasion der Alliierten in der Normandie getroffen, und es hatte den Anschein, als würden die Beziehungen erstmals seit der Krise wieder ein wenig auftauen. Der ukrainische Präsident bekräftigte zwar die – rhetorische – Forderung nach einer Rückerlangung der Krim und nach einem Assoziationsabkommen mit der EU, gleichzeitig stellte er aber auch einen Friedensplan für die Ostukraine in Aussicht. Und bei der Amtseinführung wandte er sich auf Russisch an die Bevölkerung im Osten des Landes: „Wir werden euch unter keinen Umständen vergessen.“

Die Friedensbotschaft ist martialischen Tönen gewichen. Kiew stellt sich im Gasstreit mit Moskau auf ein Abschalten des Gashahns ein. Der Kampf gegen die „Terroristen und Banditen“, so Poroschenko, im Osten wird an Vehemenz zunehmen. Für den Präsidenten ist die Nagelprobe noch früher gekommen, als er gedacht haben mag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2014)

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