Gazprom schränkt nach gescheiterten Verhandlungen die Lieferungen in die Ukraine ein. Die EU könnte betroffen sein, besonders, wenn der Winter kalt wird.
Mit dem Scheitern der Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew droht der EU eine neue Gaskrise. EU-Energiekommissar Günther Oettinger will Versorgungsengpässe im Fall eines kalten Winters nicht ausschließen. Die EU bereite sich auch auf ein Worst-Case-Szenario vor, versichert Oettinger am Montag in Wien. Ähnlich wie bei der Berlin-Blockade könnte das Gas dann über alternative Wege nach Westeuropa gebracht werden.
Vorerst hofft aber auch Oettinger auf eine Fortsetzung der Gespräche. „Für die nächsten Tage mache ich mir noch keine Sorgen“, so der deutsche Kommissar. Doch mehrere Faktoren könnten in den verbleibenden Monaten bis Jahresende zu einem Engpass bei der Gasversorgung der EU führen. Auch Österreich, das zu 60 Prozent von russischem Gas abhängig ist, könnte betroffen sein.
Speicher können nicht gefüllt werden
Die EU ist während der kalten Wintermonate neben fortgesetzten Lieferungen aus Russland auch auf gespeicherte Gasvorräte angewiesen. Dauert die aktuelle Krise länger, könnten die notwendigen Vorräte nicht aufgefüllt werden. 80 Milliarden Kubikmeter Gas werden in der EU gespeichert, in der Ukraine stehen Speicherkapazitäten von 15 Milliarden Kubikmeter allein für Europa bereit. Schränkt Gazprom die Zulieferung in die Ukraine ein, könnte Kiew gezwungen sein, als Übergang die Speicher vorzeitig anzuzapfen. „Wenn jetzt die Speicherkapazität genützt wird, haben wir alle ein Problem im Winter“, warnt EU-Energiekommissar Oettinger. Positiv ist, dass die EU durch den vergangenen warmen Winter ihre Speicher nicht völlig geleert hat.
Gastransit eingeschränkt
Die Ukraine leitet bisher russisches Gas über seine Pipelines nach Westeuropa weiter. Bei einem Boykott der Lieferungen an die Ukraine durch die russische Gazprom könnte auch die Weiterleitung in die EU gefährdet werden. Die Ukraine verdient allerdings am Gastransit und hat deshalb Interesse, die Durchleitung von sich aus nicht zu behindern. Russland liefert etwa ein Drittel des Bedarfs der EU. Die in der Union gespeicherten Vorräte halten derzeit je nach Witterung maximal 30 Tage.
Krieg in der Ostukraine
Die Gaspipeline aus Russland läuft zum Teil über die Ostukraine. Da in diesem Gebiet bis auf Weiteres keine politische Stabilität zu erwarten ist, könnten die Zu- und Weiterleitung eingeschränkt werden. Es ist laut EU-Kommission nicht sicher, ob Separatisten das Gas durchleiten oder abzapfen, wie das schon früher in der Ukraine geschehen ist. Auch mögliche Sabotageakte müssen in Erwägung gezogen werden.
Politisches Spiel der EU
Die EU spielt in diesem Konflikt selbst ein riskantes Spiel. So hat die EU-Kommission zuletzt eine Nutzung der Pipeline Opal durch den russischen Konzern Gazprom aufgeschoben.
Opal ist eine Verbindungspipeline zwischen der von Russland genutzten Ostsee-Pipeline Nord Stream und dem EU-Gastransportnetz von Nord nach Süd bis Tschechien. Wenn Opal nicht weiter geöffnet wird, ist die Abhängigkeit von der Pipeline durch die Ukraine umso größer.
Unterschiedliche Gefährdung
Die EU-Mitgliedstaaten sind von russischem Gas sehr unterschiedlich abhängig. Am gefährdetsten sind Bulgarien, die Balkanstaaten und Italien, weil sie alle am schlechtesten in das EU-Gastransportnetz angebunden sind und im Fall des Balkans und Bulgariens ausschließlich über den ukrainischen Transit mit russischem Gas versorgt werden. Österreich ist ebenfalls in großem Maß von Gazprom abhängig. Rund 60 Prozent der Lieferungen kommen aus Russland.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.06.2014)