Erdogan in Wien: Euphorie und Tumulte

T�RKISCHER PREMIER ERDOGAN IN WIEN
T�RKISCHER PREMIER ERDOGAN IN WIEN(c) APA/HANS PUNZ (HANS PUNZ)
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Der türkische Premier pries die wirtschaftliche und politische Stärke seines Landes. Auf der Lasallestraße gab Zusammenstöße zwischen den Protestierenden. Außenminister Kurz kritiserte den Besuch erneut.

Der Besuch des türkischen Premierministers Recep Tayyip Erdogan spaltet die Austrotürken: Bei seinen Anhängern in der Albert-Schultz-Halle und bei der Live-Übertragung davor löste der Besuch große Euphorie aus. Das stundenlange Warten auf Erdogan - zum Teil warteten seine Anhänger seit 11.00 Uhr auf ihn, tat der ausgelassenen Volksfeststimmung in Kagran keinen Abbruch. Als Erdogan gegen 16.00 Uhr wieder auf die Bühne trat und zu seinen Anhängern sprach, wurde er mit tosendem Applaus und lauten Rufen in und vor der Halle begrüßt.

Der offiziell als privater Besuch beim Verein UETD bezeichnete Auftritt wird als Kampf um Stimmen der Auslandstürken bei der türkischen Präsidentenwahl im August gewertet.

Mit Erdogan-Liedern in türkischem Popmusik-Stil wurden die Massen bei Laune gehalten. In der Halle waren laut Polizei-Sprecher Roman Hahslinger 7000 Menschen, beim Public Viewing vor der Halle 6000. An Erdogans Anhänger wurden Türkei-Flaggen von den Veranstaltern ausgeteilt, in der Halle lag bereits auf jedem Sitzplatz eine bereit, bevor das Publikum hineinströmen konnte. Unter den tausenden türkischen Flaggen in der Halle befanden sich rund ein Dutzend Österreich-Fahnen. Draußen fanden sich auch vereinzelt Flaggen der in der Türkei regierenden konservativen Partei AKP.

Erdogan pries in seiner Rede die wirtschaftliche und politische Stärke der Türkei. Für Europa sei die Türkei eine Chance, die man nicht auslassen dürfe, so der türkische Premier.

"Niemand muss sich vor uns fürchten"

Ich habe Grüße von 77 Millionen Bürgern der Türkei im Gepäck, so Erdogan. "Als Volk waren wir immer stolz auf euch. Als es euch gut ging, ging es uns auch gut. Als ihr traurig wart, waren wir auch traurig". Die Türken in Europa seien "die Enkel des Sultans Süleyman der Prächtige". Aber die Türken in Europa seien gekommen, um die Herzen der Wiener zu gewinnen. "Niemand muss sich vor uns fürchten", so Erdogan. Für Europa sei die Türkei aber "eine wichtige Alternative, ein Ausweg" und "die einzige solide Pforte nach Osten".

Erdogan widmete einen breiten Teil seiner Rede dem wirtschaftlichen Aufschwung seines Landes. Von der sinkenden Verschuldung und Inflation über den Ausbau der Eisenbahn und den geplanten Großprojekten in Istanbul mit dem Großflughafen und Brücke über den Bosporus bis hin zu drei Mrd. Bäumen, die gepflanzt worden seien. Früher habe man auf Schokolade aus Europa gewartet, aber heute "gibt es von allem, was es in Europa gibt, noch mehr in der Türkei". Sogar der erste eigene Hubschrauber sei gebaut und ausgeliefert worden.

Kritik gab es von Erdogan auch an den anderen Parteien in der Türkei und insbesondere an früheren Regierungen, die kopftuchtragende Frauen diskriminiert und islamische Menschen benachteiligt hätten.

"Europa beginnt mit Euphrat und Tigris"

Die Türkei war in ihrer Geschichte immer nach Westen ausgerichtet, betonte Erdogan. Wobei der türkische Premier eine erweiterte Europa-Definition anbot: "Europa endet nicht dort, wo die Donau ins Schwarze Meer fließt, sondern beginnt, wo Euphrat und Tigris ihre Quellen haben". Die Türkei mische sich niemals in die Innenpolitik anderer Länder ein. Nur wenn Rassismus oder Islamophobie aufkommen, dann schütze man die Rechte seiner Bürger. "Die Türkei ist nicht die alte Türkei" versicherte Erdogan.

Aber die Ausrichtung nach Westen heiße nicht, dass man die Verbindung zu den Brüdern im Osten abreißen lassen werde. "Auch wenn unser Gesicht nach Westen gerichtet ist, wenden wir dem Osten nicht unseren Rücken zu", so Erdogan.

Den Austro-Türken in Wien, potenzielle Wähler bei der Präsidentschaftswahl im August wo Erdogan voraussichtlich antreten wird, gab Erdogan mit: "Ihr könnt auf diese Türkei stolz sein". Sie sollten sich in die Gesellschaft integrieren, gut deutsch lernen, aber nicht assimilieren, sagte Erdogan, ähnlich wie schon bei seiner Rede in Köln.

Am Ende seiner Rede erinnerte Erdogan ausdrücklich an die Präsidentenwahl im August.

Pfefferspray bei Demo gegen Erdogan

Bei der größeren der beiden Gegendemonstrationen in Wien ist es am Donnerstagnachmittag zu Tumulten gekommen. Wie ein APA-Kameramann berichtete, setzte die Polizei Pefferspray ein um die Zusammenstöße zwischen den Protestierenden zu beenden. Grund für das "kurze Gerangel" war laut Polizeisprecher Roman Hahslinger eine Flasche, die aus einem Lokal in der Lasallestraße auf dem Demonstrationszug geworfen wurde. Hahslinger bestätigte zudem den Einsatz der Polizei-Sondereinheit WEGA. Mittlerweile habe sich die Situation jedoch wieder beruhigt.

Der von verschiedenen linksgerichteten Organisationen veranstaltete Demonstrationszug war kurz nach 15.00 Uhr vom Praterstern in Richtung Donauzentrum gestartet. Nach Angaben der Polizei beteiligten sich rund 6000 Menschen an dem Protest. Veranstalter sprachen auf Twitter von 10.000 Teilnehmern.

Die Linien 22A, 26A, 27A, 93A und 94A wurden bereits ab 10.30 Uhr und bis voraussichtlich 20.00 Uhr kurz- bzw. abgelenkt geführt. Die Linie 25 stellte ihren Betrieb ab 10.00 Uhr ganz ein. Die U-Bahn-Linie U1 hält die Station Kagran vorerst nicht ein.

Kurz: "Respekt vor Gastland sieht anders aus"

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hat sich erneut kritisch geäußert. Noch sei die Rede im Gange, man könne daher nur die Bilder beurteilen, so Kurz am Donnerstagnachmittag: "Die zeigen ganz klar, dass der türkische Premier den Wahlkampf in unser Land getragen hat und dadurch auch für Unruhe gesorgt hat."

"Das lehnen wir ab", fügte der Außenminister hinzu. "Und ich kann nur sagen, Respekt vor dem Gastland schaut eindeutig anders aus."

Ob das für Freitagvormittag geplante Treffen zwischen Kurz und Erdogan zustande kommen wird, darauf wollte sich der Spitzendiplomat weiterhin nicht festlegen.

(APA)

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