"Kriegshetzer" Joachim Gauck polarisiert

"Kriegshetzer" Joachim Gauck polarisiert(c) APA/EPA/MIGUEL A. LOPES
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Für den deutschen Präsidenten ist es "manchmal erforderlich, zu den Waffen zu greifen" - was auf Empörung stößt: Viele Deutsche fordern einen pazifistischen Sonderweg.

Berlin. Dienstreisen ins Ausland sind für deutsche Präsidenten gefährliche Missionen. Vor allem, wenn sie auf der Heimreise entspannte Interviews geben. Horst Köhler ließ sich auf dem Rückflug von Afghanistan entlocken, „dass im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist“, um nationale, auch wirtschaftliche Interessen zu wahren. Das kostete den Staatschef im Mai 2010 das Amt. Vier Jahre später wollen Gegner seines Nachnachfolgers ein Déjà-vu inszenieren.

Joachim Gauck war bester Dinge, als er Mitte Mai aus Norwegen zurückflog. Besonders inspiriert hatte den Pastor aus der DDR ein Rat von Premierministerin Solberg: „Deutschland muss sein Verhältnis zur Welt normalisieren.“ Ganz im Sinne Gaucks, der auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar „mehr Engagement“ bei internationalen Konflikten versprochen hatte. Damit läutete er, zusammen mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, eine Trendwende in der deutschen Außenpolitik ein.

Über den Wolken wurde er konkreter: Im „Kampf für Menschenrechte oder für das Überleben unschuldiger Menschen ist es manchmal erforderlich, auch zu den Waffen zu greifen“, freilich nur als „letztes Mittel“. Eine Selbstverständlichkeit? Nicht in Deutschland. Schnell war Gauck nicht nur in Tegel gelandet, sondern auch unsanft auf dem Boden deutscher Befindlichkeit. Die „haltlosen Reden“ bewiesen, dass er „als Bundespräsident eine Fehlbesetzung darstellt“, ereiferte sich die „taz“. Die „Süddeutsche“ warnte vor dem „Sprengstoff seiner Botschaft“, der „schleunigst unschädlich“ zu machen sei. Für Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele „stolpert“ Gauck durch die „Geschirrläden der Sicherheits- und Außenpolitik“. Jan van Aken, außenpolitischer Sprecher der Linken-Fraktion, verortet ihn zwischen „Feldherrn und Weltpolizist“.

In den vergangenen Tagen kochte die Debatte über. Norbert Müller, Landtagsabgeordneter der Linken in Brandenburg, nannte Gauck via Facebook einen „widerlichen Kriegshetzer“. Das war Union und SPD zu viel. In der Generaldebatte im Bundestag, in der es eigentlich ums Budget gehen sollte, sprach SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann von „unglaublichen Entgleisungen“. Linken-Parteichef Gysi ließ sich davon wenig beeindrucken: Er distanzierte sich nur halbherzig von dem jungen Regionalpolitiker und will es sich nicht nehmen lassen, den Präsidenten weiter zur „rügen“. Denn die Linke weiß: Sie hat zwar nicht im Tonfall, aber in der Einstellung die Mehrheit der Deutschen auf ihrer Seite. 60 Prozent lehnen ein stärkeres Auslandsengagement der Bundeswehr ab. Sie klammern sich an die „bewährte Kultur der Zurückhaltung“ bei Militäreinsätzen, die einst FDP-Außenminister Klaus Kinkel ausrief. Dazu passt, dass sich nur 45 Prozent fest in der Nato verankert sehen. 49 Prozent ziehen eine „Vermittlerrolle“ vor – einen neuen pazifistischen Sonderweg?

Für den renommierten Historiker Heinrich August Winkler ist die Vorstellung, „Deutschland könne so etwas sein wie eine große Schweiz“, eine „gefährliche Illusion“. Im „Spiegel“ und der „FAZ“ beklagt er als „pathologischen Lernprozess“, dass Deutsche sich auf ihre historisch einzigartige Schuld herausreden: „Wir dürfen doch aus den NS-Verbrechen nicht den Schluss ziehen, weniger sensibel gegen Menschenrechtsverletzungen zu sein als andere.“

„The new German question“

De facto verließ Deutschland seinen Sonderweg schon bald nach der Wende: Die Bundeswehr nahm am Kosovo-Einsatz teil, deutsche Soldaten kämpfen am Hindukusch. Aber im Konflikt mit Russland geht es um andere Dimensionen: Erstmals ist es nicht völlig undenkbar, dass Deutschland als zweitgrößtes Nato-Land auf europäischem Boden seiner Beistandspflicht nachkommen muss. Im Extremfall: für die Balten in einen Krieg ziehen. Gerade jetzt zwingt Gauck die Deutschen zu einer Antwort auf das, was der Historiker Timothy Garton Ash „the new German question“ nennt: ob Deutschland in der Lage ist, seine Verantwortung wahrzunehmen. Was sich die westliche Wertegemeinschaft erwartet, hat der polnische Außenminister Sikorski auf den Punkt gebracht: „Ich fürchte mich heute weniger vor deutscher Macht als vor deutscher Untätigkeit.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2014)

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