Südsudan: „Der fragilste Staat der Welt“

Sudan Bashir
Sudan Bashir (c) REUTERS (MOHAMED NURELDIN ABDALLAH)
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Zur Unabhängigkeit vor drei Jahren keimte überall Aufbruchsstimmung für den jüngsten Staat der Erde. Inzwischen ist er zerrissen, von Bürgerkrieg und Hungersnot bedroht.

Schlag Mitternacht erhob sich pünktlich der Chor der Jubler, die zu Tausenden in den Straßen der Hauptstadt Juba zusammenströmten, um singend und tanzend die Geburtsstunde eines neuen Staates zu zelebrieren. In die Nacht hinein skandierten sie an jenem 9. Juli 2011, einem Samstag, den Ruf „Freiheit“, und sie schwenkten dabei riesige Fahnen in Schwarz-Rot-Grün und mit einem gelben Stern auf blauem Dreieck.

Nach 50-jährigem Bürgerkrieg mit dem islamischen Norden und mehr als zwei Millionen Toten hatte die christlich-animistisch geprägte Bevölkerung im Südsudan ein halbes Jahr zuvor in einem Referendum zu 98,8 Prozent für die Unabhängigkeit gestimmt, und nun war ihr lang und hart erkämpfter Traum Wirklichkeit geworden. Die Führer Afrikas, darunter der verhasste sudanesische Diktator Umar al-Bashir, nahmen an der Zeremonie des jüngsten Staats der Welt teil.

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Einstiges Prestigeprojekt

Die Weltgemeinschaft, allen voran die US-Präsidenten George W. Bush und Barack Obama, waren aus der Ferne voller Stolz auf ihr Prestigeprojekt. Bei der Deklaration trug der neue Präsident Salva Kiir denn auch seinen schwarzen Cowboyhut – ein Geschenk Bushs und mittlerweile sein Markenzeichen. Er rief die Leiden seines Volkes in Erinnerung, und am Ende sagte er: „Wir müssen vergeben, aber wir dürfen nicht vergessen.“ Allein im ersten Jahr pumpte der Westen 1,4 Milliarden Dollar in den Südsudan.

Drei Jahre später hat sich die Aufbruchsstimmung ins Gegenteil verkehrt. Das Land ist vom Bürgerkrieg zerrissen, mehr als eine Million Menschen sind auf der Flucht, eine Cholera-Epidemie steht womöglich bevor, und im Herbst droht eine Hungerkatastrophe, weil viele Bauern die Saat für die Ernte in dem fruchtbaren Land nicht ausbringen konnten. Die Waffenruhe zwischen Regierung und Rebellen ist brüchig, das US-Institut „The Fund“ taxierte den Südsudan als „fragilsten Staat der Welt“.

Karitative Organisationen ziehen ein düsteres Fazit. Mario Thaler, Österreich-Geschäftsführer von „Ärzte ohne Grenzen“, ist soeben von einer Reise in den Südsudan zurückgekehrt. Aus zweiter Hand berichtet er von Massakern in der Stadt Bor, von „Hinrichtungen“ im Krankenhaus und von einem UN-Lager, das von Leichen gesäumt gewesen sei. Die Stadt hat mehrmals die Fronten gewechselt.

„Ich habe Bilder gesehen, die nicht zur Veröffentlichung geeignet sind.“ Jenseits des Nils würden 75.000 Flüchtlinge auf ihre Rückkehr warten. „Die Hälfte der Stadt ist geplündert und niedergebrannt.“ Das Gesundheitssystem, vor dem blutigen Konflikt nicht sonderlich funktionstüchtig, liege darnieder.

Auch das Österreichische Rote Kreuz (ÖRK) schlägt Alarm. „Das Land lebt von der Hand in den Mund. Die Welt schaut weg“, betont Max Santner, Leiter der internationalen Zusammenarbeit beim ÖRK. „Es gibt einen unglaublichen Bedarf für Hilfsorganisationen.“ Dabei, erinnert er sich, sei Juba einst ein Anziehungspunkt für die „Karawane der NGOs“ gewesen. Die Konkurrenz habe die Mietpreise in die Höhe getrieben. „Vielen ist die Luft ausgegangen.“

Südsudan verfügt über sprudelnde Ölquellen, die Produktion ist auf die Hälfte – auf rund 170.000 Barrel Öl pro Tag – gedrosselt. Dass Offizielle und Militärs die Petrodollars in die eigenen Taschen stecken, ist ein offenes Geheimnis. Präsident Kiir forderte einmal sogar vom eigenen Finanzminister versickertes Geld ein und feuerte ihn prompt.

Die Infrastruktur sei desolat, und darum sei es – neben der grassierenden, leicht entzündbaren Gewalt und der Bandenkriminalität – so schwierig, Hilfsmittel zu transportieren, sagt Bernhard Helmberger. Wegen des Bürgerkriegs sah sich der ÖRK-Mitarbeiter auch gezwungen, ein Wasserprojekt in eine andere Provinz zu verlegen.

Zwar haben sich Kiir und sein Rivale, der frühere Vizepräsident Riek Machar, im Mai unter Druck afrikanischer Staaten und der USA – in Addis Abeba auf eine Waffenruhe und eine Übergangsregierung geeinigt. Doch an eine dauerhafte Lösung glaubt im Moment keiner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2014)

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