Gaza: Hamas will "menschliche Schutzschilde"

(c) REUTERS (BAZ RATNER)
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Rund 80 Menschen wurden bisher im Gazastreifen getötet. Aus Jerusalem wurden am frühen Abend drei Explosionen gemeldet.

Die Gewalt zwischen Israel und militanten Palästinensern nimmt kein Ende: Seit Beginn der israelischen Offensive gegen Ziele im Gazastreifen am Dienstag wurden laut dem Gesundheitsministerium in Gaza 75 Menschen getötet. Mehr als 400 seien verletzt worden, sagte der Ministeriumssprecher. Etwa zwei Drittel davon seien Zivilisten. Radikale Palästinensergruppen feuerten auch in der Nacht auf Donnerstag in dichter Abfolge Raketen auf Israel. Erneut wurden auch Langstreckenraketen eingesetzt, die tief im israelischen Kernland einschlugen und zehntausende Menschen in Luftschutzkeller zwangen.

Am frühen Donnerstagabend wurden aus Jerusalem nach der erneuten Auslösung der Alarmsirenen mehrere  Explosionen gemeldet. Wie die "Jerusalem Post" berichtete, wurden zwei anfliegende Raketen vom Abwehrsystem "Iron Dome" abgefangen, zwei weitere schlugen im Stadtgebiet Jerusalems, allerdings auf offenem Feld ein. Menschen kamen nach ersten Berichten nicht zu Schaden.

Die extremistischen Al-Qassam-Brigaden, der bewaffnete Arm der regierenden Hamas, erklärten, sie hätten in den vergangenen 48 Stunden 279 Raketen auf Israel abgefeuert. Andere militante Gruppen hätten mehr als 100 Raketen gestartet. Israelische Kampfflugzeuge hätten in den zwei Tagen der Offensive mehr als 75 Häuser in dem Gebiet an Mittelmeer bombardiert.

Menschen sollen Warnungen ignorieren

Die Hamas rief derweil die Bewohner des Gazastreifens dezidiert dazu aufgerufen, sich bei israelischen Luftangriffen als menschliche Schutzschilde zu postieren. Das Innenministerium in Gaza warnte die Palästinenser außerdem am Donnerstag davor, ihre Häuser nach anonymen Warnungen zu verlassen. Gewöhnlich kündigt die israelische Armee ihre Angriffe telefonisch an, um zivile Opfer zu vermeiden. In einem Fernsehauftritt lobte ein Hamas-Sprecher jene Palästinenser, die kurz vor einem israelischen Angriff auf die Dächer ihrer Häuser stiegen. "Wir rufen dazu auf, diese Praxis zu übernehmen".

400 Tonnen Sprengstoff im Einsatz

Das israelische Militär erklärte nach einem Bericht der Zeitung "Times of Israel", es seien bisher in eineinhalb Tagen mehr Ziele getroffen worden, als während der achttägigen Offensive gegen den Gazastreifen im November 2012. Bis Mittwochnachmittag seien 400 Tonnen Sprengstoff gegen den Gazastreifen eingesetzt worden.

Ein israelischer Militärsprecher sagte nach Angaben des Onlineportals "Ynet", die Streitkräfte hätten noch Tausende potenzielle Angriffsobjekte mehr im Gazastreifen. "Wenn wir handeln müssen, werden wir nicht zögern", sagte Brigadegeneral Moti Almoz demnach am Mittwochabend. Wie die Zeitung "Jerusalem Post" in der Nacht auf Donnerstag online berichtete, seien seit Beginn der Militäroperation mehr als 500 Ziele attackiert worden.

Am Donnerstag gingen unterdessen auch die Vorbereitungen für eine mögliche Bodenoffensive im Gazastreifen weiter: Israel mobilisierte 20.000 Soldaten zu diesem Zweck. Bereits am Dienstag war die Einberufung von 40.000 Reservisten in die Wege geleitet worden."Wo führt das hin, führt das zu einer Bodeninvasion?" Ich kann das nicht bestätigen, sagte Armeesprecher Peter Lerner. Aber er könne bestätigten, dass man die nötigen Vorbereitungen dafür treffe. 

Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats

Der UN-Sicherheitsrat hat unterdessen für Donnerstag 10.00 Uhr Ortszeit (16.00 Uhr MESZ) eine Sondersitzung einberufen. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon werde dem mächtigsten UN-Gremium über die aktuelle Situation im Nahen Osten berichten, informierte die UN-Vertretung Ruandas, die derzeit den monatlich rotierenden Vorsitz im Rat innehat, in der Nacht auf Donnerstag per Kurznachrichtendienst Twitter. Danach werde der Rat hinter verschlossenen Türen beraten. Mehrere arabische und islamische Staaten hatten eine solche Dringlichkeitssitzung zuvor beantragt.

Ban bezeichnete den erneut eskalierten Nahost-Konflikt als "eine der entscheidendsten Krisen der Region in den vergangenen Jahren". "Gaza steht auf Messers Schneide," sagte der UN-Generalsekretär am Mittwoch vor Journalisten im Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York. Ban forderte erneut alle Seiten zu größtmöglicher Zurückhaltung auf.

Israels Raketenabwehr-Systeme
Israels Raketenabwehr-Systeme "Eiserne Kuppel"(c) APA

Es gilt als unwahrscheinlich, dass der UN-Sicherheitsrat in dem Konflikt auf einen Nenner kommt. Die USA, die als ständiges Mitglied ein Veto-Recht haben, stellten sich hinter Israel, forderten aber zugleich Israelis und Palästinenser zur Mäßigung auf. "Es ist ein großer Unterschied zwischen Raketenangriffen einer Terrororganisation in Gaza und dem Recht Israels, sich zu verteidigen", sagte Außenamtssprecherin Jen Psaki am Mittwoch in Washington.

Israels Atomkraftwerk unter Beschuss

Militante Palästinenser im Gazastreifen nehmen bei ihren Raketenangriffen auch den einzigen israelischen Atomreaktor ins Visier. Nach Medienberichten wurden am Mittwoch und Donnerstag mindestens drei Raketen in Richtung der Wüstenstadt Dimona abgefeuert, die in der Nähe des Atomkraftwerks liegt.

Mindestens eine Rakete wurde den Berichten zufolge vom Abwehrsystem Eisenkuppel ("Iron Dome") in der Luft abgefangen. Die Armee konnte sich zu konkreten Angriffen und zur Sicherung der Atomanlage nicht äußern.

Die Forderungen der Qassam-Brigaden

Der bewaffnete Arm der Hamas, die Qassam-Brigaden, hat fünf Forderungen aufgestellt:

- Ende der Blockade des Gazastreifens

- Ende der israelischen Militäroperationen im Westjordanland, in Ost-Jerusalem und im Gazastreifen

- Israel soll alle Palästinenser freilassen, die vor drei Jahren im Tausch gegen den israelischen Soldaten Gilad Shalit freigekommen waren und dann wieder festgenommen wurden

- Israel soll Sabotageversuche des Versöhnungspakts zwischen Hamas und der gemäßigten Fatah stoppen

- Israel soll die Arbeit der neuen palästinensischen Einheitsregierung von Fatah und Hamas nicht stören. Die Palästinenserbehörde soll nicht daran gehindert werden, Gehälter an rund 42.000 Angestellte der Hamas im Gazastreifen auszuzahlen.

Israel fordert als Bedingung für ein Ende seiner Angriffe im Gazastreifen einen Stopp der Raketenangriffe militanter Palästinenser auf israelische Städte und eine Wiederherstellung der Ruhe.

(APA/dpa/AFP/Reuters)

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