Riskiert Israel eine neue Schlacht um Gaza?

Israelische Soldaten in Gebetskleidung im Aufmarschgebiet am Rand des Gazastreifens.
Israelische Soldaten in Gebetskleidung im Aufmarschgebiet am Rand des Gazastreifens.REUTERS
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Analyse. Die Kämpfe zwischen Israel und den Palästinensern beschränken sich vorerst auf wechselseitige Beschießungen durch Raketen und Bomber. Wagte Israel aber einen Bodenangriff, führte der wohl, wie in früheren Fällen, zu einem Blutbad.

Die jüngsten Kämpfe zwischen Israel und radikalen Palästinensern, vor allem der Hamas, im Gazastreifen am Mittelmeer weiten sich aus und könnten auf einen baldigen israelischen Bodenangriff hinauslaufen: Seit Beginn der wechselseitigen Beschießungen am 5. Juli und Israels Operation „Protective Edge" (wortwörtlich übersetzt aus dem Hebräischen etwa „Schutzdamm", „feste Klippe") zwischen 6. und 8. Juli sind bis Donnerstagnachmittag mehr als 365 Raketen aus dem Gazastreifen gestartet worden. Umgekehrt beschossen israelische Flugzeuge, Hubschrauber und Geschütze mindestens 750 Ziele in Gaza. Menschliche Bilanz: mindestens 86 tote und 600 verletzte Palästinenser - und neun verletzte Israelis.

Die Kämpfe hatten sich an der Entführung und Ermordung dreier junger Israelis und eines Palästinensers entzündet. Israel hat 20.000 Reservisten einberufen - davon dürfte maximal die Hälfte für eine Bodenoffensive an der Front einsetzbar sein.

Viele Raketen, wenig Wirkung

Die Taktik der Palästinenser besteht wieder aus Raketenbeschuss. Das hatte 2001 begonnen und steigerte sich ab 2006 enorm, was auch in Importen (teils oft nur von Technologie) aus dem Iran und Syrien wurzelt. Zum Einsatz kommt ein ganzes Sortiment: etwa die primitiven, dünnen Kassam-Modelle mit Reichweiten von drei bis zehn Kilometern, Nachbauten russischer Grad-Artillerieraketen Kaliber 122 Millimeter mit Flugweiten von 20 bis 50 km oder iranische Fadschr-Raketen, Kaliber 333 mm, Reichweite 75 km. Freilich hat man zuletzt auch bisher in dem Konflikt beispiellose Schussweiten von bis zu 150 km registriert: Grund dürften verbesserte Fadschrs und Nachbauten der großen syrischen Khaibar-1 sein.


Der Raketenhagel ist freilich aus militärischer Sicht sehr wirkungsarm: Seit 2001 wurden mehr als 10.000 Stück gestartet, meist aus Gaza und dem Libanon, doch starben „nur" etwa 64 Israelis, über 1900 wurden verletzt. Israels Vergeltung kostete tausende Palästinenser das Leben, während der großen Gaza-Invasion im Dezember 2008/Jänner 2009 allein mehr als 1400 (bei 13 toten Israelis).


Die mangelnde Effektivität liegt an der extrem schlechten Präzision: Im Schnitt landen 50 Prozent der Raketen außerhalb eines Radius von mehreren hundert Metern bis zu drei Kilometern um ein (eventuell anvisiertes) Ziel, sie taugen nur zum wahllosen Streubeschuss. Zudem sind die Sprengköpfe mickrig, meist nur einige Kilogramm TNT oder sonstiger Sprengstoff, im Grunde große Kracher; nur bei der Fadschr können es um die 90 kg sein, und noch mehr bei der Khaibar.

Israels „Eisenkuppel"

Und: Israel hat 2011 das Raketenabwehrsystem Eisenkuppel (Hersteller: Rafael, Israel Aerospace) aktiviert und seither verfeinert: Davon gibt es sechs oder sieben Batterien zu je drei Werfern à 20 Tamir-Abfangraketen. Eisenkuppel erkennt Raketen per Radar, berechnet ihre Flugbahn und startet - aber nur falls der Einschlag in bewohntem Gebiet wäre - je zwei Raketen (Stückpreis um die 35.000 Dollar). Die Trefferquote betrug bisher 75 bis 80 Prozent, nun sollen es sogar 90 sein.

Der Hagel aus Gaza - dort werden bis zu 10.000 Raketen vermutet - kann auch nicht endlos währen, vor allem, seit Ägypten wieder die Grenze gesperrt hat und der Nachschub für die Hamas großteils versiegte. Dennoch terrorisiert er zumindest psychologisch Millionen Israelis, die in Alarmzustand leben. Ein ergänzender Bodenangriff nach Gaza, um mehr Raketenstellungen, Depots, Werkstätten und Kämpfer als nur durch Fernbeschuss auszuschalten, wäre daher zwar operativ nützlich. Es droht aber jeder Vorstoß in das Gebiet, das 40 km lang und sechs bis 14 km breit ist, trotz des Einsatzes gepanzerter Einheiten zu schwersten stalingradesken Kämpfen auszuarten: Die für Häuserkampf gerüsteten und trainierten Palästinenser haben das dicht besiedelte Gebiet zur Festung ausgebaut, mit Minen, Fallen, Gräben, Bunkern, und suchen absichtlich und völkerrechtswidrig Schutz, indem sie sich, ihre Waffen und Positionen mit der Bevölkerung verzahnen.

Ein „doppeltes Kriegsverbrechen"

Israels Premier Benjamin Netanjahu riss das zur Bemerkung hin, die Hamas würde „ein doppeltes Kriegsverbrechen" begehen: „Sie zielen auf israelische Zivilisten und verstecken sich hinter palästinensischen Zivilisten."
Ein größerer israelischer Bodenangriff würde jedenfalls zu einem Blutbad - siehe die Kämpfe um Gaza von 2008/09, die im Übrigen den Raketenbeschuss nicht dauerhaft stoppten und Israels Ansehen weiter schädigten. Gegen den Hagel aus Gaza gibt es also vorerst weiter nur bedingt Rezepte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11. Juli 2014)

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