Mustafa Abushagur: "Viele Junge fühlen sich um ihre Revolution betrogen"

Mustafa Abushagur
Mustafa AbushagurWieland Schneider
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Der libysche Expremier Mustafa Abushagur sieht sein Land heute in einer schlimmeren Lage als vor eineinhalb Jahren. Nach seinem Wahlerfolg will er das Vertrauen der Menschen in einen demokratischen Weg zurückgewinnen.

Sie haben bei der Parlamentswahl die zweitmeisten Stimmen bekommen und werden für das Amt des neuen Parlamentspräsidenten gehandelt. Was können Sie damit für Libyen erreichen?

Mustafa Abushagur: Die Wahl selbst war ein sehr wichtiger Schritt in Richtung Demokratie. Wir sind sehr froh darüber, dass wir sie trotz aller Probleme abhalten konnten. Die Libyer hoffen, dass das neue Parlament das Land in die richtige Richtung lenkt. Aber natürlich sind die Herausforderungen gewaltig: bei der Sicherheit, der Wirtschaft, dem Aufbau der Institutionen.

Sie sprechen von Herausforderungen. Die Lage ist eher alarmierend: Die Zentralregierung hat über den Osten Libyens keine Kontrolle. Und General Khalifa Haftar führt im Osten seinen persönlichen Krieg gegen Islamisten und andere Gruppen.

Ja, die Regierung hat wenig Macht, nicht nur im Osten, sondern auch im Westen des Landes. Und das sind alarmierende Entwicklungen. General Haftar hat im Februar zum Umsturz aufgerufen, aber er hatte damit keinen Erfolg. Er behauptet, gegen Terror zu kämpfen, um die Aufmerksamkeit der Welt auf sich zu ziehen. Aber was Haftar macht, ist eher eine Medienkampagne als eine wirkliche militärische Kampagne. Er hat es nicht geschafft, nach Bengasi vorzurücken. Doch er lässt die Stadt weiter beschießen und versetzt die Bevölkerung in Angst. Trotz all dieser Probleme sind die Wahlen auch im Osten gut verlaufen. Dieses neue Parlament hat sehr viel anzubieten, wenn es die Möglichkeit erhält, etwas zu ändern.

General Haftar hat aber bereits gesagt, dass er die Wahlen nicht anerkennt. Wie sollen dann Sie und das neue Parlament mit ihm klarkommen?

Haftar interessiert sich nicht für Demokratie. Er interessiert sich nur dafür, an die Macht zu kommen. Er fühlt sich als Erbe von Ex-Machthaber Gaddafi. Wenn Haftar sagt, er ist gegen die Wahlen, dann ist er gegen die einfachen Menschen, die ihre Stimme abgegeben haben. Es wird die Zeit kommen, in der die Libyer zu Leuten wie Haftar sagen: Stopp, wir wollen das nicht! Gewalt ist keine Lösung. Wir brauchen einen richtigen Dialog, einen Dialog der Ideen und keinen Dialog der Gewehre. Das wird kommen, auch im Osten des Landes.

Derzeit sieht es aber so aus, als könnte sich der Osten abspalten und Libyen zerfallen. Wie kann das verhindert werden?

Der Großteil der Libyer will nicht, dass das Land auseinanderfällt. Deshalb müssen die politischen Kräfte – das neue Parlament – auf den Plan treten, das Vertrauen der Leute zurückgewinnen und Lösungen finden.

Konflikte bestehen aber nicht nur zwischen dem Osten und dem Westen Libyens. Im Westen gibt es Probleme zwischen mächtigen rivalisierenden Städten wie Misrata und Zintan.

Die Städte haben Angst um ihre Sicherheit und deshalb verlassen sie sich auf ihre Truppen. Denn ein funktionierender Staat wurde noch nicht aufgebaut. Städte wie Zintan, Misrata oder Bengasi haben sehr viel für die Revolution geopfert. Und sie fürchten, dass doch noch die Konterrevolution siegen könnte. Das ist eine Gefahr, der wir uns gegenüber sehen.

Aber all diese Milizen machen auch Probleme, etwa hier in der Hauptstadt Tripolis. Erst vor einigen Tagen gab es hier Kämpfe zwischen Milizen aus Janzour und Zintan.

Ja, leider. Mit all diesen Milizen, die denken, dass das, was sie tun, keine Konsequenzen hat, passiert so etwas. Wenn es nicht rasch gelingt, diese Situation zu lösen, sind nicht die Miliz A oder B der Verlierer, sondern wir alle. Libyen ist heute in einem viel schlimmeren Zustand als noch vor 18 Monaten. Im Oktober 2012 waren wir auf einem anderen Level. Wir waren dabei, etwas aufzubauen. Aber jetzt sind die Milizen viel stärker als damals. Sie haben Geld bekommen, denn die Regierenden wollten ihre Unterstützung kaufen. Aber dafür bezahlt man dann den Preis und wird zu einer Geisel.

Viele junge Leute, die an der Revolution teilgenommen haben, sind heute frustriert. Wie kann man ihnen ihre Hoffnungen zurückgeben?

Es gibt in der Geschichte keine Revolution, die ihre Ziele in wenigen Jahren erreichen konnte. Aber ich verstehe natürlich die Unzufriedenheit der jungen Leute, die sich betrogen fühlen. Ohne ihre Unterstützung können wir jedoch nicht weitermachen. Leider hat die Revolution nur die Spitze des Regimes verändert, aber nicht das System, das die vergangenen 40 Jahre existiert hat. Dieselben Leute, die während der Gaddafi-Zeit in den staatlichen Strukturen gearbeitet haben, tun es noch heute. Die korrupten Netzwerke existieren noch immer. Die schlechte Performance unseres Allgemeinen Nationalkongresses (bisheriges Übergangsparlament, Anm.) hat die Menschen desillusioniert. Meine Angst ist, dass die Libyer die Idee der Demokratie aufgeben könnten. Ich hoffe deshalb, dass dieses neue Parlament eine bessere Arbeit macht.

Steckbrief

Mustafa Abushagur. Der libysche Ex-Premier erhielt bei den Parlamentswahl die zweitmeisten Stimmen. Der 63-Jährige könnte nun Parlamentspräsident werden. Der Elektroingenieur lehrte in den 1980ern an mehreren US-Universitäten. Dort war er in Exilgruppen aktiv. Nach dem Sturz Gaddafis wurde er im September 2012 als neuer Premier designiert. Er trat aber nach wenigen Wochen zurück.
Wieland Schneider

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2014)

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