Gaza: "Nur weg von hier"

ISRAEL MIDEAST PALESTINIANS GAZA CONFLICTS
ISRAEL MIDEAST PALESTINIANS GAZA CONFLICTS(c) APA/EPA/JIM HOLLANDER (JIM HOLLANDER)
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Israels Bodenoffensive im Gazastreifen lässt den Palästinensern keinen Atem und kaum eine ruhige Minute. Die Hamas setzt inzwischen sogar auf Esel.

Eine Dauerserie von Kanonenfeuer und Bombenexplosionen riss Maram Humaid und ihre Familie in den frühen Morgenstunden aus dem Schlaf. Pausenlos donnern die Artilleriegeschosse seit zwei Tagen im Grenzbereich des Gazastreifens. Die 23-Jährige lebt mit ihren Eltern und sieben Geschwistern im Norden der Stadt Gaza. „Es waren mindestens 15 Angriffe innerhalb von zehn Minuten“, berichtet die junge Palästinenserin am Telefon. „Der Lärm kommt von überallher und ist kaum auszuhalten.“

Mit der Invasion der israelischen Truppen seit Donnerstagnacht steigt die Zahl der Opfer im Gazastreifen dramatisch an. Über 330 Tote zählen die Palästinenser und fast zehnmal so viele Verletzte, darunter viele, die Arme oder Beine verloren haben. Auf israelischer Seite starb am Samstag der zweite Zivilist infolge des Raketenhagels aus dem Gazastreifen. Bei den Kämpfen mit Hamas-Milizen in Gaza wurden außerdem mehrere Soldaten verletzt.

Seit zwölf Tagen haben Maram Humaid und ihre Geschwister die Wohnung ihrer Eltern nicht verlassen. Ihre zehnjährigen Zwillingsschwestern, erzählt sie, würden in der Nacht zu weinen beginnen. „Sie wollen nur weg von hier.“ Auch die Zahl der Flüchtlinge steige permanent, sagt Maram. Rund 40.000 Menschen suchten derzeit Unterschlupf in UN-Einrichtungen. Die Palästinenserin berichtet von einer Tante, die in einem Hochhaus unweit der Grenze lebt, das am Vortag bombardiert wurde. Zwei Türme seien dort zerstört.


Der Tunnelkampf. Das erklärte militärische Ziel der israelischen Bodenoffensive ist die Aufdeckung und Zerstörung der geheimen Tunnel zwischen dem Gazastreifen und Israel. Gut ein Dutzend Tunnel „mit 31 Öffnungspunkten“, so heißt es in einer ersten Bilanz der Armee, konnten bereits in den ersten 36 Stunden der Invasion „angegriffen werden“. Je schneller die Bodentruppen bei der Suche der Tunnel vorankommen, desto eher können die Soldaten auch wieder abgezogen werden, verlautete aus Regierungskreisen. Der Versuch der Hamas, ein Terrorkommando auf dem Seeweg einzuschleusen, zeigte indes erneut, dass die Gefahr neuer Attentate und Entführungen nicht allein von den geheimen unterirdischen Gängen ausgeht. Das definierte Ziel einer langfristigen Ruhe sei nur durch einen Waffenstillstandsvertrag zu erreichen.

Die Armee bekämpft die Hamas an drei Fronten: durch die Suche nach den Tunnel, die sich vor allem auf den Grenzbereich konzentriert; die fortgesetzten Angriffe der Luftwaffe und der Marine auf die Infrastruktur der islamischen Extremisten; und den Schutz der Zivilbevölkerung durch das Heimfrontkommando. Nach gut zwei Wochen der Operation „Schützende Klippe“ zeigt die Hamas jedoch noch keinerlei Ermüdungserscheinungen. Auch am Samstag dauerte der Raketenbeschuss mit unverminderter Vehemenz an.

Einzig für die Israelis, die an der Grenze zum Gazastreifen leben und verstärkt den Angriffen mit Mörsergranaten und Kassam-Raketen ausgesetzt sind, ist es ein wenig ruhiger geworden. Denn beide Waffen verfügen nur über eine sehr kurze Reichweite. Die Bodenoffensive der israelischen Armee hat die Hamas-Kämpfer indessen von der Grenzregion soweit zurückgedrängt, dass ihre Mörsergranaten keine große Gefahr mehr anrichten können.

Neu im Krieg der Hamas gegen die Armee ist indessen der Einsatz von Tieren. Ein mit Sprengstoff beladener Esel näherte sich in der Nacht zum Freitag einer Einheit im Gazastreifen, die allerdings von den Nachrichtendiensten vorgewarnt war und den Sprengstoff in sicherer Entfernung zur Explosion bringen konnte.

Unterdessen laufen die diplomatischen Vermittlungsbemühungen weiter auf Hochtouren. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon reiste am Wochenende in den Nahen Osten, um sich persönlich für eine Beruhigung der Lage starkzumachen. Mussa Abu Marsuk, die Nummer zwei der Hamas-Führung im Exil, kritisierte den Begriff „feindselige“ Operationen, wie es in dem ägyptischen Entwurf für einen Waffenstillstandsvertrag anstelle von „Widerstand“ heißt.

Die Hamas, so verlautete von Politbüro-Chef Khaled Mashal, werde solange eine Feuerpause verweigern, solange die israelische Blockade über den Gazastreifen andauert. Mashal fordert außerdem, dass einige Dutzende Hamas-Kämpfer, die vor drei Jahren im Zuge eines Geiselhandels auf freien Fuß kamen, jüngst aber erneut verhaftet wurden, wieder auf freien Fuß kommen.

Im Gespräch war zeitweilig auch die Forderung nach einem Hafen und sogar einem Flughafen. Israels Justizministerin Tzipi Livni konterte, die Hamas soll nicht glauben, sie werde für ihre Raketenangriffe auch noch derart belohnt. Das sei völlig illusorisch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2014)

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