Ein Dorf wählt Pink

Christian Gantner ist nicht nur der Cousin von Neos-Chef Strolz, sondern auch ÖVP-Bürgermeister in Dalaas.
Christian Gantner ist nicht nur der Cousin von Neos-Chef Strolz, sondern auch ÖVP-Bürgermeister in Dalaas.Julia Neuhauser
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Der Vorarlberger Ort Dalaas ist nicht nur Heimat von Neos-Chef Matthias Strolz, sondern auch Österreichs pinke Hochburg. Bürgermeister ist aber ein ÖVP-Politiker: der Cousin von Strolz.

Arbeitsscheu sind die Dalaaser auch in ihrer Freizeit nicht: Im kleinen Ort im Klostertal in Vorarlberg wird Holz gehackt, Rasen gemäht und Fenster geputzt. Nur geredet wird hier nicht allzu gern – zumindest nicht mit Fremden und schon gar nicht über Politik.

Dabei gäbe es sehr viel zu erzählen. Das traditionell schwarze Dorf ist mittlerweile der pinkste Ort Österreichs. Fast 40 Prozent der 1550 Einwohner gaben den erstmals antretenden Neos bei der Nationalratswahl im September 2013 ihre Stimme, bei der EU-Wahl im Mai waren es 24,6 Prozent. In Dalaas wirkt der Strolz-Faktor. Neos-Chef und Parteigründer Matthias Strolz ist hier, im Ortsteil Wald am Arlberg, aufgewachsen. Seine Familie lebt hier. Doch kann der Heimvorteil allein das sensationelle Ergebnis erklären? „Die Presse am Sonntag“ machte sich neun Wochen vor der Vorarlberger Landtagswahl auf die Suche nach Antworten.

Ein Dalaaser wollte diese gern geben: Bürgermeister Christian Gantner. Der 33-jährige treue ÖVPler kennt nicht nur den Ort besonders gut, sondern auch Matthias Strolz. Er ist sein Cousin. Gantner nimmt auf dem gemütlichen Sofa im Gasthof Post inmitten von Dalaas Platz und erzählt: Die beiden sind gemeinsam aufgewachsen, ihre Elternhäuser liegen in Sichtweite zueinander. Und nun? „Jetzt sitzen wir bei Familienfeiern in abgetrennten Saalhälften und schwingen unsere Parteifahnen“, sagt Gantner mit einem ironischen Lächeln. Dass sich die Familie nun zwei verschiedenen Parteien verschreibt, sei kein Problem: „Wir waren immer eine politische Familie – nun sind wir eben etwas bunter.“ An einen Wechsel zu den Neos habe er jedenfalls nicht gedacht.


Die besseren Neos?
Und so kommt es am 21. September zum innerfamiliären Kräftemessen. In Dalaas muss die ÖVP fürchten, hinter den Neos zu landen. Auf Landesebene droht der Volkspartei– nicht zuletzt wegen der Neos – der Verlust der absoluten Mehrheit.

Wenn Gantner, der selbst auf Platz fünf der ÖVP-Landesliste steht, über dieses Duell erzählt, dann klingt das mindestens so kämpferisch wie bei jedem ÖVP-Politiker ohne pinke Familie: „Bei der Landtagswahl werden die Neos sicher hinter ihren bisherigen Ergebnissen bleiben“, sagt der einst jüngste Bürgermeister Österreichs. Die Verluste der ÖVP würden nicht groß sein.

Dann kommt die Erklärung, die man von ÖVP-Politikern in schwarz regierten Ländern schon oft gehört hat: „Die Wähler unterscheiden zwischen Bund und Land.“ Und unzufrieden seien sie ja nicht mit der Landes-, sondern mit der Bundes-ÖVP. Die Vorarlberger ÖVP sei nämlich in vielen Themen offener – wie etwa beim Thema Gesamtschule oder bei der „notwendigen Steuerreform“. Die Vorarlberger Volkspartei sei, wie es Gantner formuliert, eben die „bessere Neos-Partei“.

Dass das Dorf bei den beiden vergangenen Wahlen überdurchschnittlich oft Pink wählte, schreibt auch der Bürgermeister seinem Cousin zu: „Die Leute sagen nicht: ,Ich habe Neos oder Pink gewählt.‘ Sie sagen: ,Ich habe dem Matthias die Stimme gegeben.‘ Oder: ,Toll, ein Klostertaler, einer von uns.‘“

Pinke Euphorie kommt im Tal auch bei den wenigen, die reden wollen, nicht auf. Bei der Nationalratswahl hätten ihm die Neos „ganz gut gefallen“, erzählt ein 62-jähriger Pensionist. Bei der EU-Wahl sei er dann aber wieder zur Tradition, ÖVP zu wählen, zurückgekehrt. Auch einer der wenigen Jungen, die man am Vormittag im Ort trifft, hat den Neos bei der Nationalratswahl seine Stimme gegeben: „Weil ich den Strolz kenne, der ist fast mein Nachbar“, sagt der 30-Jährige. Bei der EU-Wahl habe er aber Grün gewählt. Die Familie Strolz sei zwar sehr nett, sie bleibe aber lieber „beim Alten“, also bei der ÖVP, erzählt eine ältere Dame.


Konservatives Tal. Inhaltliche Kritik oder gar Lob für das Programm der Neos gibt es kaum. Nur eine Frau, die gerade aus dem Supermarkt spaziert, echauffiert sich: „Das mit der Wasserprivatisierung, das kann man so nicht sagen“, spielt sie auf den EU-Wahlkampf an. „Manche Dinge, die die Neos fordern, kann man nicht gut finden, sie schießen über das Ziel hinaus“, schimpft die Frau weiter.

Der Bürgermeister ist ohnehin überzeugt: Dalaas sei nicht zur pinken Hochburg geworden, weil die Leute hier besonders liberal sind: „Niemand kennt das Parteiprogramm der Neos. Würden die Leute so manche Dinge darin lesen, würden sie die Hände über dem Kopf zusammenschlagen“, ist Gantner überzeugt. Das Klostertal sei ein „durchaus konservatives Tal“.

Viele Gratulanten hätten nach dem politischen Erfolg des Sohnes angerufen, erzählt Matthias Strolz' Mutter, Ida, während sie neben ihrem Mann, Hubert, auf der Terrasse sitzt. Manchmal seien aber auch unangenehme Anrufe dabei. Zuletzt habe ihr eine Frau an den Kopf geworfen, dass sich die gläubige Großmutter von Matthias Strolz im Grab umdrehen würde, würde sie die politischen Forderungen ihres Enkels hören. Mutter Ida Strolz ist selbst sehr gläubig. Sie sei durch das politische Engagement des Sohnes aber „viel offener geworden“ – auch in puncto Homo-Ehe, wie die 70-Jährige schildert.

Ida und Hubert Strolz sind jedenfalls „zu 150 Prozent überzeugte Neos-Wähler“. Als solche wird Ida Strolz nicht mehr per Wahlkarte wählen. Bei der EU-Wahl ging das quasi schief. Sie gab die Wahlkarte mit ihrer Stimme für die Neos während eines Besuchs bei ihrem Sohn in Wien ab. In Dalaas ging das innerfamiliäre Kräftemessen währenddessen verloren: Die Neos bekamen 124, die ÖVP bekam 125 Stimmen.

Fakten

Die Gemeinde Dalaas befindet sich mit den beiden Ortschaften Dalaas und Wald im Vorarlberger
Klostertal.

885 Einwohner zählt das Dorf Dalaas. In Wald leben 622 Menschen.

Bei der vergangenen Landtagswahl im Jahr 2009 wählten die Gemeindebewohner noch hauptsächlich ÖVP (rund 51 Prozent), gefolgt von FPÖ (27 Prozent).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2014)

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