Nach IS-Drohung: Christen-Exodus aus Mosul

Irakische Christen fliehen vor den Islamisten in kurdische Gebiete.
Irakische Christen fliehen vor den Islamisten in kurdische Gebiete.(c) REUTERS
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Die Islamisten im Irak hatten Christen mit der Ermordung gedroht, sollten sie die Region nicht verlassen oder konvertieren. Der Papst ruft zum Gebet auf.

Es ist ein beispielloser Exodus einer der ältesten christlichen Gemeinden im Irak: Nach einem Ultimatum der Jihadisten haben am Wochenende tausende Christen das nordirakische Mosul verlassen. In Taxis und Privatautos versuchten sie, in die benachbarten Kurdengebiete zu fliehen. Die Jihadistengruppe IS hatte ihnen mit dem Tod gedroht, sollten sie nicht konvertieren oder die Stadt verlassen.

"Christliche Familien sind auf dem Weg nach Dohuk und Erbil", sagte der christlich-chaldäische Patriarch Louis Sako. "Erstmals in der Geschichte des Irak gibteskeineChristen mehr in Mosul." Augenzeugen sagten, die Christen seien über die Lautsprecher der Moscheen aufgefordert worden, die Stadt bis Samstag zu verlassen. Einwohner berichteten, Flüchtlingen seien an Kontrollposten all ihr Geld und ihr Schmuck abgenommen worden.

In der Kurdenhauptstadt Erbil, in die nun viele der Christen geflohen sind, spitzt sich die Lage indessen zu. Die Verwaltung der Stadt war auf einen Ansturm von Zehntausenden Menschen nicht vorbereitet. Zudem erschwerten kulturelle Unterschiede zwischen den kurdisch sprechenden Einwohnen und den chaldäisch oder arabisch sprechenden Flüchtlingen die Kommunikation.

"Nichts als das Schwert" für die Nassarah

Die religiöse Minderheit der Christen war bereits in der vergangenen Woche in einer Erklärung der fundamentalistischen Gruppierung Islamischen Staat (IS), die Mosul und die umliegenden Gebiete seit einem Monat kontrolliert, aufgerufen worden, zum Islam zu konvertieren und eine Sondersteuer zu zahlen. Andernfalls müssten sie ihre Häuser und die Stadt verlassen. Weigerten sie sich, "wird es für sie nichts als das Schwert geben", hieß es in einem Flugblatt.

Laut der Erklärung sollen die Häuser der fliehenden Christen an den Islamischen Staat fallen. Der Patriarch und Augenzeugen berichteten, Rebellenkämpfer hätten in den vergangenen Tagen die Häuser von Christen mit einem "N" für Nassarah markiert. Dies ist der im Koran verwendete Begriff für Christen. Die christliche Minderheit, die seit der Frühzeit des Christentums im Irak lebt, war in den vergangenen Jahren immer wieder Bedrohungen und Angriffen ausgesetzt.

Franziskus: "Unsere Brüder werden verfolgt"

Papst Franziskus rief beim sonntäglichen Angelus-Gebet nachdrücklich zu einem Ende der Gewalt auf: "Unsere Brüder werden verfolgt, verjagt, sie müssen ihre Wohnungen verlassen, ohne die Möglichkeit zu haben, etwas mit sich zu bringen", sagte der Heilige Vater. Er schließe diese Familien und Menschen ständig in seine Gebete ein. Auch alle Christen rief er auf, für das Ende der Konflikte in mehreren Teilen der Welt zu beten, vor allem im Nahost und Ukraine. "Möge der Gott des Friedens in jedem einen echten Wunsch nach Dialog und Versöhnung wecken. Gewalt wird nicht mit Gewalt besiegt, sondern mit Frieden", versicherte der Papst.

Am Wochenende wurde auch der Sitz des syrisch-katholischen Bischofs in Mosul in Brand gesetzt. Das berichtete der syrisch-katholische Patriarch Ignatius Joseph III. Younan dem Sender Radio Vatikan. Laut Patriarch Sako lebten bis Donnerstag noch 25.000 Christen in Mosul. Nach dem Ultimatum wagten aber nur wenige zu bleiben. Einer von ihnen ist der 36-jährige Lehrer Fadi. "Ich bleibe. Ich fühle mich bereits tot", sagte Fadi per Telefon. Er könne sich eine Flucht nicht leisten. Zudem seien die Aussichten für die Flüchtlinge kaum besser. Beim Verlassen der Stadt seien vielen Christen all ihre Habseligkeiten abgenommen worden. Er habe nur noch seine Seele zu verlieren, sagte Fadi.

Kurz fordert Einheitsregierung im Irak

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) verurteilte am Sonntag in einer Aussendung "das Ultimatum von IS an die in Mossul lebenden Christen und anderen religiösen Minderheiten auf das Schärfste" und rief zur Bildung einer Regierung der nationalen Einheit aus Schiiten, Sunniten und Kurden auf.

"Geschockt und entsetzt" über die Berichte aus Mossul zeigte sich auch der Wiener Landtagsabgeordnete und gebürtige Iraker Omar Al-Rawi. "Ich verurteile diese Entwicklung auf das Schärfste und drücke der christlichen Bevölkerung meine Solidarität aus", betonte Al-Rawi in einer der Austria Presse Agentur am Samstag übermittelten Stellungnahme. Es sei dafür zu sorgen, dass die Vertriebenen wieder sicher in ihre Stadt zurückkehren können. "Wer hier schweigt, macht sich mitschuldig."

Bombenanschläge in Bagdad

Unterdessen stürmten IS-Kämpfer den Luftwaffenstützpunkt Speicher bei Tikrit, zerstörten Militärausrüstung und lieferten sich heftige Gefechte mit Regierungskräften. Bei einer Serie von Bombenanschlägen in der Hauptstadt Bagdad wurden am Wochenende mindestens 22 Menschen getötet. Der Konflikt im Irak ist mit der Blitzoffensive der IS-Truppen am 9. Juni eskaliert. Tausende Menschen wurden seitdem getötet und mehr als 600.000 Menschen in die Flucht getrieben.

(APA/AFP)

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