Flugzeugabschuss: Russland bietet zwei konträre Versionen an

Monitors from OSCE and members of a forensic team visit the crash site of Malaysia Airlines Flight MH17 near the village of Hrabove
Monitors from OSCE and members of a forensic team visit the crash site of Malaysia Airlines Flight MH17 near the village of Hrabove(c) REUTERS (MAXIM ZMEYEV)
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Moskau legt nahe, ein ukrainischer Kampfjet habe Flug MH17 abgeschossen. Oder ukrainische Luftabwehr.

Moskau/Wien/Den Haag. Bisher sind vom offiziellen Russland nur häppchenweise Äußerungen zu den Ursachen des Absturzes von Flug MH17 am Donnerstag über dem Osten der Ukraine gekommen. Am Montag hat das russische Verteidigungsministerium dann seine Sicht der Dinge über das Unglück, dem 298 Menschen zum Opfer fielen, dargestellt.

Laut Andrej Kartapolow, Mitglied im russischen Generalstab, könnte ein ukrainisches Militärflugzeug eine Rakete auf die Boeing gefeuert haben. Ein konkretes Beweismittel blieb er allerdings schuldig, jedoch sollen Satellitenbilder der russischen Flugaufsicht ein Militärflugzeug – Moskaus Vermutung: eine Suchoi 25 – in der Nähe der Boeing gesichtet haben. Nach russischen Informationen ist der Kampfjet zum Absturzzeitpunkt plötzlich aufgetaucht, habe rasant an Höhe gewonnen und einen Abstand von nur drei bis fünf Kilometer zu dem Zivilflugzeug eingenommen. „Warum fliegt ein Militärflugzeug auf derselben Route wie ein Zivilflugzeug?“, fragte Kartapolow vor Journalisten: „Wir hätten gern Antworten darauf.“ Russland legt nahe, dass aus der Militärmaschine, deren Spur man auf dem Radar entdeckt haben will, eine Luft-Luft-Rakete abgefeuert wurde. Die USA sollten Beweise für ihre Annahme vorlegen, wonach die prorussischen Separatisten eine Boden-Luft-Rakete auf das Flugzeug abgeschossen hätten, forderte Karatapolow.

Leichen kommen nach Kharkow

Merkwürdigerweise präsentierte das Verteidigungsministerium auch eine zweite Version: Das ukrainische Militär hätte in den Tagen vor dem Absturz drei oder vier Batterien des Buk-Raketensystems in Stellung gebracht. Das sollen Fotos bezeugen. Präsident Putin erneuerte seine Anschuldigung, das Unglück wäre nicht passiert, wenn die ukrainische Armee Ende Juni nicht die Kämpfe wiederaufgenommen hätte. Die Gefechte um die wichtigste Separatisten-Hochburg Donezk gingen auch am Montag weiter, kurz war sogar von einem Sturm der Armee auf die Stadt die Rede, die Berichte stellten sich jedoch als falsch heraus.

Fortschritte gab es am Montag immerhin bei der Frage, was mit den sterblichen Überresten der 298 Opfer geschehen soll. Die Kühlwaggons, in denen die rund 250 Leichen seit der Nacht auf Sonntag gelagert werden – nachdem sie tagelang auf freiem Feld gelegen sind – sollte laut Plan noch am Abend von Tores, das unter Kontrolle der Separatisten steht, nach Kharkow gebracht werden, das unter der Kontrolle der Regierung ist. Am Montag bekam erstmals ein forensisches Team aus den Niederlanden – von dort stammen rund zwei Drittel der Opfer – Gelegenheit, die Waggons zu inspizieren, und zeigte sich den Umständen entsprechend zufrieden: „Die Verwahrung der Leichen ist qualitativ gut“, wurde Peter van Vliet zitiert, der Chef des dreiköpfigen Teams.

Flugschreiber an malaysische Behörden

Auch die beiden von pro-russischen Rebellen gefundenen Flugschreiber sollen noch am heutigen Montag an malaysische Behörden übergeben werden. Dies sollte um 21.00 Uhr ukrainische Ortszeit erfolgen, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters den malaysischen Premier Najib Razak am Montagabend.  Zuvor hatte der stellvertretende Ministerpräsident der Ukraine, Wolodymyr Groysman, die Rebellen beschuldigt, die Flugschreiber (Black Box) manipuliert zu haben. "Es gibt Informationen wonach sie in der vergangenen Tagen Dinge mit ihnen gemacht haben", erklärte er bei einer Pressekonferenz.

„Putin, ich will meine Tochter zurück“

Das Verhalten der prorussischen Milizen sorgt derweil weiter für Unmut: Die BBC zeigte ein Video, das ihr von Rebellen zur Verfügung gestellt wurde, es zeigt Kämpfer beim Durchwühlen von Rucksäcken und anderen Habseligkeiten der Opfer. Ein Kommandant wies seine Leute an, nach USB-Sticks zu suchen: „Daten sind das Allerwichtigste.“

In einem offenen Brief wandten sich niederländische Eltern, die ihre Kinder durch den Abschuss des Flugs MH17 verloren haben, direkt an Russlands Präsidenten: „Putin, ich will meine Tochter zurück“, schreibt Hans de Borst in dem Brief, der in der Zeitung „Algemeen Dagblad“ veröffentlicht wurde: „Das ist mein Kind. Ich hoffe, dass ich noch etwas Tastbares von ihr bekomme. Holt die Leiche dort weg. Mein Leben ist ruiniert.“ Elsemiek, die 17-jährige Tochter von Hans de Borst, war mit ihrer Mutter an Bord des Todesflugs MH17. „Sie hatte so große Pläne. Sie wollte nächstes Jahr nach der Matura Architektur studieren“, schreibt ihr Vater „Elsemiek war mein einziges Kind.“

Die Wut auf Russland, die prorussischen Separatisten und auf Russen wächst in den Niederlanden und unter Niederländern immer mehr. Manche fordern bereits ein militärisches Eingreifen der Nato in der Ukraine. Die Reisegesellschaft TUI berichtet, dass es zwischen niederländischen und russischen Touristen in der Türkei inzwischen große Spannungen gibt. Man treffe Vorkehrungen, um Gewalt zuvorzukommen. (som/hd/hetz)

AUF EINEN BLICK

Eine Boeing 777 der Fluggesellschaft Malaysia Airlines stürzte vergangenen Donnerstag über der Ostukraine ab. Alle 298 Menschen an Bord starben. Alles deutet daraufhin, dass das Flugzeug abgeschossen wurde, soweit sind sich Russland und der Westen einig. Doch dann gehen die Ansichten auseinander: Während viele EU-Staaten, die USA und die Ukraine russisch inspirierte Separatisten verantwortlich machen und auf deren Unterstützung durch Russland hinweisen, insinuiert Moskau, dass die ukrainische Armee – entweder mit einer Luft-Luft- oder einer Boden-Luft-Rakete, das Flugzeug abgeschossen habe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2014)

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