Keine europäischen Waffen für Russland?

Die Briten liefern weiterhin Waffen, etwa Nachtsichtgeräte
Die Briten liefern weiterhin Waffen, etwa Nachtsichtgeräte Shamil Zhumatov / Reuters
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Die EU erwägt ein Waffenembargo gegen Moskau. Die Maßnahme könnte vor allem Frankreich treffen. Die Briten liefern weiter Waffen.

Brüssel. Seit wenigen Wochen üben rund 400 Matrosen aus Russland im Hafen von Saint-Nazaire den Umgang mit dem jüngsten Stolz der russischen Marine: einem Hubschrauberträger der Mistral-Klasse, der im Oktober unter dem Namen Wladiwostok die Fernostflotte Russlands verstärken soll - so sieht es jedenfalls der Vertrag vor, den Frankreich und Russland vor drei Jahren unterzeichnet haben. Insgesamt 1,2 Milliarden Euro zahlte Russland für zwei Mistral-Schiffe - das zweite soll 2015 geliefert werden und ist für das Einsatzgebiet Schwarzes Meer vorgesehen. Ob die Wladiwostok tatsächlich im Oktober gen Osten ausläuft, muss sich allerdings erst weisen, denn im Zuge der Ukraine-Krise ist ein innereuropäischer Streit um das Rüstungsgeschäft ausgebrochen.

Am gestrigen Dienstag trafen die Außenminister der EU in Brüssel zu Beratungen zusammen - ganz oben auf der Agenda stand eine Ausweitung der Sanktionen gegen Russland, die bereits in der Vorwoche von den Staats- und Regierungschefs der Union prinzipiell beschlossen wurde, mit dem Abschuss des Flugs MH 17 der Malaysian Airlines über der Ostukraine aber noch dringlicher wurde. Nach der Eroberung der Krim durch russische Truppen im März hatte sich die EU auf einen dreistufigen Sanktionsplan verständigt: Dessen dritte Stufe - weitreichende Sanktionen gegen ganze Zweige der russischen Wirtschaft - ist demnach für den Fall vorgesehen, dass Russland nach der Ostukraine greift.

Trotz der jüngsten Vorgänge im Osten des Landes, war die dritte Sanktionsstufe beim gestrigen Treffen kein Thema. „Wir haben heute nicht über klassische Wirtschaftssanktionen gesprochen, sondern über zielgerichtete Maßnahmen", sagte Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) am Nachmittag.

Nichtsdestoweniger bewegt sich die EU weiter stetig Richtung Wirtschaftskrieg mit Russland. Die Außenminister beauftragten gestern die EU-Kommission bis Ende Juli mit der Ausarbeitung einer erweiterten Liste von „Entitäten und Personen", die mit Sanktionen belegt werden sollen. Hinzu kommen sollen nun russische Firmen, die an der Annexion der Krim und der „Destabilisierung der Ostukraine" aktiv beteiligt sind bzw. von ihr profitieren - ein relativ dehnbarer Begriff.

Bereits am morgigen Donnerstag soll in Brüssel ein Paket präsentiert werden, das „signifikante restriktive Maßnahmen" in den Bereichen Rüstung, Energie, Finanzsektor und Hightech enthält, sollte Russland nicht bei der Lösung des Ukraine-Konflikts kooperieren. Womit wir bei der Sanktionsstufe drei und dem eingangs erwähnten Streit wären, denn innerhalb der EU würde Frankreich unter einem Waffenembargo am meisten leiden. „Die Russen haben bezahlt", Frankreich müsse seinen vertraglichen Verpflichtungen nachkommen, verteidigte sich Staatschef François Hollande. Eine Hintertür ließ sich Hollande aber offen: Die Lieferung des zweiten Schiffs werde von der Haltung Russlands in der Ukraine abhängen. Unterstützung erhielt Paris durch Deutschlands Außenminister Franz-Walter Steinmeier: Nur künftige Lieferungen sollten gestoppt werden.

Briten liefern weiterhin Waffen

Für Frankreich geht es nicht nur um 1,2 Milliarden Euro, sondern auch um rund 1000 Arbeitsplätze, die an dem russischen Auftrag hängen. Insofern verwunderte es nicht, dass in Paris Rufe nach Maßnahmen laut wurden, die nicht Frankreich belasten: Wenn man bedenke, wie viele russische Oligarchen in London Unterschlupf gefunden hätten, sollte der britische Premier David Cameron „zuerst in seinem eigenen Hinterhof kehren", empörte sich der Vorsitzende der regierenden Sozialisten, Jean-Christophe Cambadélis.

Großbritannien liefert, wie in der Nacht auf Mittwoch bekannt wurde, weiterhin Waffen und militärische Ausrüstung nach Russland. Mehr als 250 Lizenzen für den Verkauf von Gütern nach Russland, die der Ausfuhrkontrolle unterliegen, seien noch gültig, teilte der Parlamentsausschuss zur Kontrolle von Waffenexporten in London mit. Der damalige Außenminister William Hague hatte im März angekündigt, keine militärischen Güter mehr nach Russland zu verkaufen, mit denen prorussische Separatisten in der Ukraine unterstützt werden können. Dennoch seien nur wenige Lizenzen gesperrt worden, hieß es.

Unter anderem dürften an Moskau weiterhin Scharfschützengewehre, Nachtsichtgeräte, Munition für Kleinwaffen, Panzerwesten und Kommunikationsausrüstung geliefert werden. Anfang der Woche hatte Premierminister David Cameron Frankreich scharf angegriffen, weil es weiterhin Rüstungsgeschäfte mit Russland mache. Der Ausschuss kritisierte auch Lizenzen für die Ausfuhr von Chemikalien nach Syrien, die zum Bau von Chemiewaffen verwendet werden könnten.

Europas Werte und Sicherheit würden „zugunsten von Geschäften verraten", wetterte gestern die litauische Staatschefin, Dalia Grybauskaitė, während der schwedische Außenminister, Carl Bildt, wissen ließ, dass Waffenlieferungen an Russland „schwer zu verteidigen" seien. Auch aus der rein ökonomischen Perspektive könnte sich das Beharren als Fehler erweisen, rechnet die „Financial Times" vor. Denn Polen, das den Deal ebenfalls kritisiert, will in den kommenden Jahren 20 Mrd. Euro für die Modernisierung seiner Streitkräfte ausgeben - für französische Rüstungsfirmen steht also viel auf dem Spiel.

Schiffe der Mistral-Klasse sind rund 200 Meter lang und können 16 Hubschrauber, 13 Panzer und bis zu 450 Soldaten transportieren. Wie ein hochrangiger russischer Offizier wissen ließ, hätte Russland 2008 den Krieg gegen Georgien „binnen 40 Minuten" gewinnen können, hätte es damals ein Mistral-Schiff besessen. (ag./la)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2014)

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