Auch Westjordanland steht kurz vor Explosion

(c) Reuters (MOHAMAD TOROKMAN)
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In Israel nahm Präsident Peres nach sieben Jahrzehnten mitten im Krieg Abschied von der Politik, während in Ramallah die Lage zu eskalieren drohte.

Jerusalem/Ramallah. Zumindest ein Wunsch ging für Schimon Peres in Erfüllung, als er am Donnerstagabend nach sieben Jahren als Staatsoberhaupt - und eine Woche vor seinem 91. Geburtstag - mit einer Grundsatzrede in der Knesset Abschied nahm von der Politik, die beinahe sieben Jahrzehnte sein Leben bestimmt hatte. Die Zivilluftfahrtbehörden in den USA und in Europa hoben ihre Warnung für den Ben-Gurion-Flughafen in Tel Aviv, einer der eminenten Lebensadern des Staates Israel, wieder auf. Die Austrian Airlines gab dennoch bekannt, ihre Flüge nach Tel Aviv auch in den kommenden 24 Stunden zu streichen.

Der Methusalem der israelischen Politik hatte die Entscheidung der diversen Fluglinien harsch kritisiert, die Flüge in die Mittelmeer-Metropole für 36 bis 48 Stunden auszusetzen: „Es ist nicht die richtige Antwort, die Flüge zu streichen, sondern die Raketen zu stoppen." Irgendwann, so viel ist klar, wird auch ein zentrales Projekt in Israel seinen Namen zieren - eine Ehre, wie sie 1973 auch David Ben Gurion, dem ersten Präsidenten Israels und einem Mentor des jungen Labor-Politikers Peres, zuteil wurde.

„Die Politik des Mordes ist unser Feind"

Mit einer Kampfansage an den Terror und der ungetrübten Hoffnung auf einen Frieden nahm Israels 9. Präsident Abschied von seinem Amt. Sichtlich betrübt richtete sich der scheidende Staatschef an die Eltern der gefallenen Soldaten. Nicht Israel habe angegriffen, sondern die Hamas habe „den Tod gesäht", mahnte Peres in Anspielung auf die Untersuchungskommission, die der UN-Menschenrechtsrat formieren will, um den Verdacht israelischer Kriegsverbrechen zu prüfen. „Die Araber sind nicht unsere Feinde, aber die Politik des Mordes ist es." Israel habe ein Recht, sich zur Wehr zu setzen, setzte Peres hinzu. Er warnte davor, die Arabische Friedensinitiative zu ignorieren. Israel müsse als jüdischer Staat Seite an Seite mit dem „arabischen Staat Palästina" existieren.

Dass die Ära Peres inmitten eines Kriegs zu Ende gehen würde, ist symptomatisch für eine Karriere, die alle Höhen und Tiefen durchwandert hat. Als Außenminister, als Premier und Präsident hat sich die deklarierte „Taube" stets dem Frieden und der Aussöhnung verschrieben - und dafür wurde er auch mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Seine letzte Rede als höchster Repräsentant Israels galt denn auch dem Frieden und einem Appell für ein Ende der Gewalt - ein Vermächtnis für Israelis wie Palästinenser. In einer Ansprache vor dem US-Kongress hatte er vor einem Monat bereits den Grundtenor angeschlagen. Dort beschwor er die Freundschaft mit den palästinensischen Nachbarn.

Zugleich brandmarkte er die „Terroristen", die mit ihren Raketen und Anschlägen die Existenz Israels bedrohen: die Hamas, den Islamischen Jihad, die Hisbollah.
Bis zuletzt war er indessen in Konsultationen mit Israels Premier Netanjahu, US-Außenminister John Kerry oder dem Palästinenser-Präsidenten Mahmud Abbas um einen Waffenstillstandspakt bemüht. Noch zu Pfingsten war Schimon Peres nach Rom gereist. Auf Einladung von Papst Franziskus nahm er Seite an Seite mit dem Palästinenser-Präsidenten Mahmud Abbas an einem Gebetsakt in den Vatikanischen Gärten teil. Unter seinem Kampfnamen Abu Mazen war Abbas Peres erst in Feindschaft verbunden, ehe sie zu Partnern wurden. Von einem Rivalen, der später zum Freund wurde, hatte sich Peres zu Beginn des Jahres verabschiedet: von Ariel Scharon, der langjährige Premier und Haudegen der israelischen Politik starb am 11. Jänner. Nun übergibt Peres das Amt an Reuven Rivlin, sein politisches Gewicht, sein Einfluss und seine Stimme werden im Nahen Osten schmerzlich abgehen - in Israel wie im Westjordanland, wo er unter moderaten Palästinensern hohes Ansehen genießt. Als Elder Statesman wird er erhalten bleiben.

Wenige Stunden vor dem Abschied des Präsidenten war der Kontrollpunkt Kalandia, wichtigster Übergang zwischen Jerusalem und Ramallah, für den Autoverkehr geschlossen. Israelische Grenzschützer sperrten die Region wegen der geplanten Demonstrationen am sogenannten al-Quds-Tag ab. Zehntausende Menschen, so prophezeiten die Veranstalter, würden zum Protestmarsch in der „Lailat al-Qadr", der „Nacht des Schicksals" kommen, die die Muslime am 27. Tag des Fastenmonats Ramadan begehen.

Für Freitag sind Proteste angekündigt. Es soll ein „Tag des Zorns" werden, gerichtet gegen die Grenzposten.
„Wir hoffen, dass die Soldaten nicht mit scharfer Munition schießen", sagt Lina Ali, die den „Marsch der 48.000", so der Titel der Demonstration, in der Nacht zum Freitag mitorganisiert. „Es wird vermutlich zu Gewalt kommen. Sonst hört uns einfach niemand." Das Blutvergießen im Gazastreifen müsse ein Ende haben und auch die Besatzung im Westjordanland.

Auf dem Markt am zentralen Al-Manara-Platz herrscht vor dem letzten Ramadan-Wochenende reger Handel, die Stimmung ist gedrückt. Aus dem offenen Fester eines Autos tönt der neueste Hit in Palästina: „Steh auf, mach einen Terroranschlag", singt ein Männerchor. Die 29-jährige Hiba will an den Demonstrationen teilnehmen. Dass es zu Gewalt kommen könnte, schreckt sie nicht ab. „Im Gazastreifen sterben Kinder im Bombenfeuer, und da soll ich mich fürchten?"

Tote bei Angriff auf UN-Schule

Trotz der internationalen Bemühungen für einen Waffenstillstand stieg die Zahl der Todesopfer im Gazastreifen am Donnerstag auf mehr als 700 an. Bei einem israelischen Angriff auf eine UN-Schule starben mindestens 15 Menschen. UN-General Ban Ki Moon zeigte sich in einem Statement „entsetzt" über den Angriff, dem auch ein einjähriges Kind und UN-Mitarbeiter zum Opfer fielen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2014)

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