Ukraine: Zerwürfnis im Kiewer Parlament

Petro Poroshenko
Petro Poroshenko (c) imago/IPON
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Nach dem Rücktritt von Premier Jazenjuk herrscht in Kiew Verwirrung um seine Nachfolge. Die prowestlichen Fraktionen sind gespalten – ein Vorbote des Wahlkampfes.

Wien/Kiew. Wladimir Groisman hat es geschafft, seinen Vorgänger zu unterbieten: Mit 36 wurde er gestern geschäftsführender Premier der Ukraine und ist damit zu seinem Amtsantritt immerhin um drei Jahre jünger als Arsenij Jazenjuk, der nach dem Bruch der Regierungskoalition am Donnerstag seinen Rücktritt verkündete. Damit werden in der Ukraine – wie von der seit Ende Februar im Amt befindlichen Regierung in Kiew nach den Umbrüchen des Maidan angekündigt – vorgezogene Parlamentswahlen stattfinden, und zwar am 26. Oktober.

Sie finden in instabilen Zeiten statt, in der das Parlament erneut von internen Streitereien aufgerieben wird und im Osten des Landes die „Antiterroroperation“ der ukrainischen Armee allmähliche Erfolge zeitigt, jedoch mit beträchtlichen militärischen und zivilen Opfern. Ob im Donbass, wo prorussische Separatisten noch immer zwei Großstädte und ein großes Gebiet halten, in drei Monaten Wahlen abgehalten werden können, kann heute niemand vorhersagen.

Groisman wird mit diesen und anderen Problemen – etwa stockenden Reformen, die das Parlament noch nicht in Angriff genommen hat – reichlich zu tun haben. Trotz seines jungen Alters hat er schon reichlich Erfahrung in Politik und Management gesammelt. Im zarten Alter von 14 Jahren begann er als Schlosser zu arbeiten, vermeldet sein Wikipedia-Eintrag, mit 16 war er bereits Direktor des Kleinunternehmens Oko. Mit 24 erlangte er einen Sitz im Stadtrat von Winniza, und als 28-Jähriger wurde er schließlich Bürgermeister von Winniza. Seit Ende Februar war er als Regionalminister Teil der Regierung, die nach der Flucht von Expräsident Viktor Janukowitsch an die Macht gekommen war. Zuletzt leitete er die Untersuchungskommission zur Klärung des Flugzeugabsturzes der malaysischen Boeing.

Ein Mann Poroschenkos

Als Bürgermeister der 370.000 Einwohner zählenden Stadt Winniza hat Groisman die Lokalpolitik umgekrempelt. Den Bürgern ist er als progressiver Reformer in Erinnerung. „Wir wollen in einer europäischen Stadt leben“, wird der Politiker, der aus einer jüdischen Familie stammt, verheiratet ist und drei Kinder hat, zitiert. Winniza ist auch die Hochburg des jetzigen Präsidenten Petro Poroschenko. Dort befindet sich nicht nur sein Wahlkreis, sondern auch eine Fabrik seines Süßwarenunternehmens Roshen. Groisman gilt daher als „Mann Poroschenkos“.

Streit zwischen Regierung und Rada

Dennoch ist der Präsident nicht glücklich über diese Veränderungen. Er meldete sich gestern in der Causa zu Wort und wollte offenbar die Demission des Kabinetts nicht akzeptierten. Das Auseinanderbrechen der Koalition sei „kein Grund für den Rücktritt der Regierung“, schrieb Poroschenko an Parlamentspräsident Alexander Turtschinow. Er hoffe, dass sich die Gemüter beruhigten und der Verantwortungssinn siege. Selbst die Fraktion von Swoboda, die tags zuvor noch mit Vitali Klitschkos Abgeordneten von Udar die Koalition aufgelöst und so den Rücktritt Jazenjuks ausgelöst hatten, erklärte am Freitag überraschend, nicht für den Rücktritt des Kabinetts stimmen zu wollen.

Hintergrund von Jazenjuks Amtsaufgabe dürften Differenzen mit den Abgeordneten sein. Jazenjuk hatte Udar und Swoboda vorgeworfen, die Arbeit der Regierung zu behindern. In der Rada waren zuvor einige wichtige Gesetze gescheitert – unter anderem eines, das die Beteiligung ausländischer Investoren am Gastransportsystem der Ukraine ermöglicht hätte. In der Staatskasse ist kein Geld, und die Energieversorgung im Winter ist seit Russlands Gaslieferstopp ungeklärt. Der Streit ist auch ein Vorbote des Wahkampfes. Jazenjuk habe, so meinen Beobachter, das Amt des Premiers sowieso loswerden wollen. Er selbst hat es einmal zu Beginn seiner Amtszeit freimütig als „politisches Selbstmordkommando“ bezeichnet.

In Kiew wird gemunkelt, dass der Jungstar sich von Julia Timoschenkos Vaterlandspartei lossagen könne – um anderswo unterzukommen oder sein eigenes Projekt zu gründen. Und auch Präsident Poroschenko bringt seinen bisher nur am Papier existenten Wahlverein Solidarität in Stellung. Massiv an Popularität gewonnen hat angesichts der bewaffneten Konfrontation in der Ostukraine auch die Radikale Partei des nationalistischen Populisten Oleh Laschko. Zuletzt haben die prowestlichen Kräfte nur in einer Sache Einigkeit bewiesen: Durch eine Änderung der Geschäftsordnung lösten sie die Fraktion der Kommunisten auf – formal aufgrund der zu geringen Mitgliederzahl.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2014)

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