Nahost: Ausweitung der Gewalt statt Feuerpause

Israeli army officer gives explanations during an army organised tour in a tunnel said to be used by Palestinian militants for cross-border attacks
Israeli army officer gives explanations during an army organised tour in a tunnel said to be used by Palestinian militants for cross-border attacks(c) REUTERS (POOL)
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US-Außenminister Kerry unterbreitete ein neues Abkommen für einen Waffenstillstand, doch die Regierung in Jerusalem verlangte Änderungen in dem Vorschlag. Im Westjordanland eskalierten Solidaritätsdemos für den Gazastreifen.

Jerusalem. Unmittelbar vor Ende des Ramadan lag nun doch ein Waffenstillstandsangebot auf dem Tisch, unterbreitet von US-Außenminister John Kerry. Israel und die Hamas berieten am Freitag über den Zwei-Stufen-Plan, der eine einwöchige Feuerpause, beginnend ab Sonntag, vorsah sowie die Möglichkeit für Israel, während dieser Zeit weiter nach geheimen Tunneln zu suchen, und Garantien an die Hamas für ein Ende der achtjährigen Gaza-Blockade. Freitagabend lehnte das israelische Sicherheitskabinett den US-Vorschlag aber vorerst ab. Die Regierung von Premier Benjamin Netanjahu verlange Änderungen in dem Plan, hieß es in israelischen Kreisen. Jetzt einem Waffenstillstand zuzustimmen, wäre für Israel ein „schlechtes Ergebnis", hatte Israels national-religiöser Wirtschaftsminister Naftali Benett bereits vor der Sitzung des Sicherheitskabinetts gemeint.

Kerrys Plan kam aber auch nicht den Vorstellungen entgegen, die bereits zuvor von Khaled Mashal, dem Chef des Politbüros der palästinensischen Hamas, geäußert wurden. Mashal will erst eine die Öffnung des Grenzübergangs Rafah vom Gazastreifen nach Ägypten und erst anschließend eine Feuerpause. Das vorgelegte Abkommen sah die umgekehrte Reihenfolge vor.
Hilfe wurde Mashal und seiner Hamas am Freitagabend von der schiitischen Partei Hisbollah im Libanon versprochen, die über eine gewaltige Anzahl von Kämpfern verfügt. „Wir werden an der Seite des Widerstands in Gaza stehen. Wir werden tun, was wir können, um ihn zu unterstützen", sagte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah in seinem seiner seltenen öffentlichen Auftritte.

AUA fliegt wieder nach Tel Aviv

Auch am Freitag feuerten die Hamas und andere Palästinensergruppen Raketen aus dem Gazastreifen in Richtung Israel ab. Trotzdem haben mehrere internationale Fluggesellschaften wieder den Flugverkehr in die israelische Metropole Tel Aviv aufgenommen. Die Austrian Airlines (AUA) wollen den Ben Gurion Airport in Tel Aviv wieder ab Sonntagvormittag anfliegen.

Unterdessen greift die Gewalt zunehmend auch auf das Westjordanland über. Bei den heftigsten Auseinandersetzungen seit mindestens zehn Jahren starben bis Freitag fünf palästinensische Demonstranten, hunderte wurden zum Teil schwer verletzt.

Begonnen hatten die Unruhen am Kalandia-Kontrollpunkt, dem Grenzübergang zwischen Jerusalem und Ramallah, wo es in der Nacht auf Freitag die beiden ersten Toten gab. Etwa zehntausend Palästinenser waren dem Aufruf der Fatah gefolgt, der in den Versuch der Demonstranten mündete, die israelischen Grenzanlagen zu durchbrechen. Zum ersten Mal seit Jahren wurden auch von palästinensischer Seite Schüsse auf die israelischen Sicherheitskräfte abgefeuert. Den letzten Anstoß, sich in die Demonstrationen einzureihen, dürfte für viele der israelische Angriff auf eine UN-Schule in Gaza gegeben haben, bei dem 15 Menschen versehentlich zu Tode kamen und Dutzende verletzt wurden. Bei etwa zwei Drittel der bisher insgesamt mehr als 880 Todesopfer in Gaza soll es sich um Zivilisten handeln.

Aus Sorge vor neuen Unruhen auf dem Tempelberg in Jerusalem ließ die Polizei nur Frauen sowie Männer im Alter von über 50 Jahren zum Freitagsgebet in der Al-Aqsa-Moschee zu. Am palästinensischen „Tag des Zorns", zu dem die Fatah aufgerufen hatte, sollten die Demonstranten „überall dorthin gehen, wo Soldaten postiert sind", wie es seitens der Veranstalter hieß. In Nablus und bei Hebron starben am Freitag drei weitere Palästinenser. Die größten Proteste wurden erst für die Nacht auf Samstag erwartet. 16 Stunden dürfen die Muslime an den langen Juli-Tagen nichts essen und trinken. Viele legen sich erschöpft am frühen Nachmittag schlafen und schließen sich den Demonstrationen erst nach dem Fastenbrechen wieder an.

Fatah organisiert Proteste

Den Palästinensern im Westjordanland geht es darum, Solidarität mit Gaza zu signalisieren und den eigenen Teil zum Blutzoll im Kampf gegen Israel beizutragen. Die Proteste gelten zudem der Einheit des Volkes, gerade jetzt, wo sich auch Fatah und Hamas auf die Beilegung des innerpalästinensischen Konflikts geeinigt haben. Das Westjordanland und der Gazastreifen gehören untrennbar zusammen, skandierten junge Palästinenser.

Die Demonstrationen fanden unter der Schirmherrschaft der Fatah statt. Die Stadtverwaltung in Ramallah spendete Palästinaflaggen, und auch die Jassir-Arafat-Stiftung, sagt die Mitorganisatorin Lina Ali, habe den Veranstaltern finanziell unter die Arme gegriffen. Die palästinensische Führung und ihre Sicherheitskräfte könnten die Ausschreitungen unterbinden. Palästinenserpräsident, Abbas, der sich zurzeit im Ausland aufhält, appellierte lediglich an die Palästinenser, Blut für die Verletzten zu spenden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2014)

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