Irak: Der Krieg der Islamisten gegen moderate Moslems

People walk through the rubble of the Prophet Younis Mosque after it was destroyed in a bomb attack by militants of the Islamic State, formerly known as ISIL, in the city of Mosul
People walk through the rubble of the Prophet Younis Mosque after it was destroyed in a bomb attack by militants of the Islamic State, formerly known as ISIL, in the city of MosulREUTERS
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Die Extremisten des Islamischen Staates führen einen Zerstörungskampf, der sich nicht nur gegen Gebetsstätten und Kulturdenkmäler der Christen, sondern auch gegen Kultstätten der moderaten Muslime richtet.

Kairo/Bagdad. „Nein, nein, nein – das ist das Ende von Prophet Jonas, oh Gott, diese Schurken“, hört man den entsetzten Videofilmer rufen. Sekunden zuvor hatte eine gewaltige Explosion die weit über Mosul hinaus bekannte sunnitische Pilgerstätte mit ihrem grazilen Minarett zu Staub zerfetzt. Erst hatten die Bewaffneten vom Islamischen Staat (IS) alle Betenden aus dem Gotteshaus vertrieben, dann die Straßen im Umkreis von 500 Metern abgesperrt. „Das ist kein Ort des Gebets, sondern der Gotteslästerung“, pöbelten die Steinzeit-Islamisten. Innerhalb von 60 Minuten verminten sie das Mausoleum, das jahrhundertelang als Wahrzeichen für die religiöse und kulturelle Verwobenheit der Region gegolten hatte. „Jonas, dessen Geschichte in Bibel und Koran steht, war ein Prophet für alle“, betont Fawziya al-Maliky vom irakischen Tourismusministerium in Bagdad. „Wir wissen nicht, was diese bornierten Militanten im Kopf haben“, sagt sie. „Wir wissen nur eins: Sie wollen ein Ende der Zivilisation.“

Denn der barbarische Kulturkampf mit Dynamit und Bulldozern trifft keineswegs nur Christen und Juden, er trifft genauso moderate sunnitische und schiitische Muslime. Ideologisch zählen die IS-Gotteskrieger zur salafistisch-wahabitischen Strömung des Islam, die ihre Wurzeln auf der Arabischen Halbinsel hat und seit Jahrzehnten mit Milliarden saudischer Petrodollars im gesamten Nahen Osten propagiert wird. Egal ob in Tunesien, Mali, Libyen, Ägypten, Syrien oder jetzt Irak – die Begründung der puritanischen Extremisten für ihre Kulturfrevel klingen überall gleich. Ekstatischer Tanz, wie ihn Sufi-Anhänger praktizieren, sei häretisch, die Verehrung von Gräbern populärer Frommer unislamisch, weil Vielgötterei. Einzig Allah dürfe angebetet werden, dekretieren sie, träumen von einer Rückkehr zum „einzig wahren Islam“ der Zeiten Mohammeds und ziehen eine Spur der Verwüstung durch den gesamten Orient.

„Nächste kulturelle Wüste“

In Ägypten und Tunesien zerstörten radikale Salafisten mindestens 70 Sufi-Stätten. In Libyen demolierten sie islamische Heiligtümer, Friedhöfe und römische Statuen, darunter auch die Moschee in Zlintan, wo ein Sufi-Gelehrter aus dem 15. Jahrhundert verehrt wird. Im malischen Timbuktu, der legendären Stadt der 333 Heiligen, brandschatzten Gotteskrieger die Hälfte der 16 Sufi-Mausoleen, die zum Weltkulturerbe gehören. Im Irak machten die IS-Fanatiker 50 islamische Gotteshäuser dem Erdboden gleich. Dem Personal des Nationalmuseums von Mosul kündigten die bewaffneten Besucher an, die antiken Statuen seien „gegen den Islam“, und sie würden nur noch auf eine Fatwa ihres Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi warten.

„Leider sieht es nicht gut aus für das kulturelle Erbe“, beklagt Aymen Jawad, Direktor der britischen Organisation „Iraq Heritage“. „Eine der ältesten Städte des Orients wird gerade in die nächste kulturelle Wüste verwandelt.“ Einige muslimische Bewohner Mosuls nahmen am Wochenende selbst das Heft in die Hand. Als die IS-Kommandos sich das schiefe Al-Hadba-Minarett der Großen Moschee vornehmen wollten, verbarrikadierten sie sich in dem Turm, lieferten sich heftige Wortgefechte mit den Sprengstoff-Barbaren, die nach einigen Stunden tatsächlich abzogen. Ein Sieg auf Zeit – denn allen ist klar: Sie werden wiederkommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2014)

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