Hass auf die dunkelhäutigen Libyer aus Tawergha

Fatima will zurück nach Tawergha.
Fatima will zurück nach Tawergha.Wieland Schneider
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Auch drei Jahre nach dem Ende der Revolution leben noch tausende Menschen in Flüchtlingslagern. Sie können nach wie vor nicht in ihre Stadt Tawergha zurück, die von Milizen aus Misrata verwüstet worden ist.

Fatima hat in ihrem Leben schon viel gesehen. Sie kann sich noch daran erinnern, wie britische Truppen 1943 durch ihre Stadt zogen, um die italienischen Truppen und das deutsche Afrika-Korps aus Libyen hinauszudrängen. Die 79-Jährige hätte sich nie gedacht, dass sie so viele Jahre später noch einmal einen Krieg erleben würde – einen, unter dem sie persönlich viel mehr leiden sollte als unter dem Zweiten Weltkrieg.

„Nichts war so schlimm wie die vergangenen drei Jahre“, sagt Fatima und atmet tief durch. „Früher hatten wir unsere Häuser, unsere Tiere und Sicherheit.“ Jetzt hat sie nichts mehr davon. Ihr ganzes Leben hatte Fatima in ihrer Stadt Tawergha verbracht. Bis zum August 2011, als Bewaffnete aus der Nachbarstadt Misrata in Tawergha einrückten und die Häuser zerstörten. Viele der Bewohner waren bereits geflohen. Wer blieb, wurde getötet, gefangen, vertrieben.

Fatima ist seither Flüchtling im eigenen Land. Mit 3000 anderen Menschen aus Tawergha haust sie in einem Lager in Janzour, am Rande der libyschen Hauptstadt Tripolis. In einem heruntergekommenen Gebäude wurden mit Spanplatten kleine Zimmer gebaut, in die nur wenig Licht fällt. Fatima versucht, das Beste daraus zu machen, hat den Boden mit bunten Teppichen ausgelegt.

40.000 Menschen wohnten früher in Tawergha – schon immer argwöhnisch betrachtet von ihren Nachbarn. Denn die Tawergher sind dunkelhäutiger als die meisten anderen Libyer. Die Tawergher seien Nachfahren von Sklaven, die einst mit ihrem Schiff gestrandet seien, erzählten ihre Nachbarn. Auf alle Fälle seien sie keine „richtigen arabischen Libyer“.

Dann kam 2011 der Aufstand gegen Muammar al-Gaddafi. Die Armee des libyschen Machthabers ging in Tawergha in Stellung, um von dort aus gegen die 30 Kilometer nördlich gelegene Hafenmetropole Misrata vorzugehen. Misrata war während der Revolution ein Zentrum des Widerstands gegen Gaddafi und wurde monatelang belagert. Nach schweren Kämpfen konnte der Belagerungsring schließlich gesprengt werden. Nun waren Misratas Milizen auf dem Vormarsch. Und sie rächten sich an den Menschen von Tawergha.

Vorwurf Vergewaltigung

„Die Lage der Leute aus Tawergha ist nach wie vor dramatisch“, sagt Hanan Salah von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Sie spricht von kollektiver Bestrafung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. 1000 Männer aus Tawergha schmachten noch immer in Misratas Gefängnissen. Die Milizen der Hafenstadt werfen den Tawerghern vor, mit Gaddafi kollaboriert und Frauen aus Misrata vergewaltigt zu haben.

„Das stimmt nicht“, sagt Ali al-Harus, Sprecher im Flüchtlingscamp in Janzour. „Wir haben die Leute aus Misrata gefragt, wer von uns das getan haben soll. Ob sie Namen von Verdächtigen haben. Sie haben aber nichts vorgelegt.“ Ali al-Harus deutet auf die großen Bilder im Gedenkraum, der im Flüchtlingslager eingerichtet worden ist: „Stattdessen haben sie uns auch hier überfallen.“ Die Fotos zeigen Leichen, listen die Namen der sieben Menschen auf, die dem sogenannten „Janzour Massaker“ zum Opfer gefallen sind. Milizen aus Misrata hatten damals – auf ihrer Jagd nach Tawerghern – das Flüchtlingscamp angegriffen.

Mittlerweile beschützen andere libysche Milizen das Lager vor den Kämpfern aus Misrata. In Tripolis will niemand verstehen, warum sich die Verantwortlichen der Hafenmetropole nach wie vor weigern, die Menschen aus Tawergha in ihre Stadt zurückzulassen. Doch es gibt in Libyen keine starke Zentralgewalt, die Misratas Milizen dazu zwingen könnte.

Fatima hofft trotzdem noch immer, nach Tawergha zurückzukehren. Sie will ihre letzten Jahre dort verbringen, wo sie ihr ganzes Leben verbracht hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2014)

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