UN-Bericht: Mehr als 1100 Tote in der Ostukraine

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Der UN-Menschenrechtsrat rügt beide Konfliktparteien wegen übermäßiger Gewaltanwendung beim Kampf um den Donbass. Die Armee erobert unterdessen weiter Territorium.

Donezk/Kiew/Wien. Ein neuer Bericht des UN-Menschenrechtsrates warnt vor einer „Herrschaft von Angst und Terror“ in der Ostukraine. Der 65 Seiten lange Bericht, der am Montag in Genf vorgestellt wurde, beschreibt detailliert die angespannte Situation und die missliche Lage von Zivilisten im von Separatisten und Regierungstruppen umkämpften Donbass.

Im vergangenen Monat habe sich die Menschenrechtslage in der Ostukraine weiter verschlechtert. Auch die Opferstatistik ist laut Angaben des Berichts dramatisch: Basierend auf konservativen Schätzungen zählen die UN-Beobachter und die Weltgesundheitsorganisation WHO mehr als 1100 Tote für die Periode von Mitte April bis Mitte Juli. Die Schätzung schließt sowohl Zivilisten als auch reguläre wie irreguläre Kämpfer ein. Die 298 Opfer des Flugzeugabsturzes sind nicht eingeschlossen.

Einsatz schwerer Waffen

Insbesondere die jüngsten Zusammenstöße zwischen Armee und Separatisten hätten zu vielen Todesopfern auf ziviler Seite geführt, da beide Seiten schwere Waffen wie Granatwerfer, Panzer, Raketen und Lenkwaffen einsetzen würden. Auf die Verwendung von Antipersonenminen wird hingewiesen.

Die ukrainische Armee ist seit der Eroberung der Stadt Slawjansk Anfang Juli erfolgreich weiter gegen Stellungen der Separatisten vorgegangen – allerdings „zu einem hohen Preis“, wie der UN-Bericht notiert. Doch auch die von Russland unterstützten Separatisten haben komplexere Waffensysteme erworben und zeigen keinen Willen, vor der Übermacht der ukrainischen Armee zu weichen. „Beide Seiten müssen mehr Sorge tragen, um zu verhindern, dass Zivilisten verletzt oder getötet werden“, sagte UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay. Sie kritisierte, dass dafür bisher „nicht genügend Vorsorge“ getroffen wurde. Der ukrainischen Armee wird insbesondere Mörserbeschuss von zwei Donezker Bezirken angelastet, bei dem mehrere Menschen in der Folge an Splitterwunden starben.

Den prorussischen Separatisten wiederum werden vor allem Entführungen, Folter und Exekutionen angelastet. Die UNO spricht von 812 Menschen, die im Beobachtungszeitraum in den Gebieten Donezk und Luhansk festgehalten oder entführt worden sind. Auch werden Dokumente aus Slawjansk, in denen Igor „Strelkow“ Girkin, der „Verteidigungsminister“ der Donezker Volksrepublik, mehrere Todesurteile erließ, überprüft.

Absturzort: Armee rückt vor

Pillay erklärte, der Abschuss des Fluges MH17 könnte als Kriegsverbrechen klassifiziert werden. Erste Untersuchungen der Blackbox haben ergeben, dass der Absturz durch einen massiven Druckabfall nach einem Raketenbeschuss verursacht worden sei, erklärte ein Sprecher des ukrainischen Nationalen Sicherheitsrates unter Berufung auf internationale Experten.

Unterdessen versucht die ukrainische Armee offenbar, das Territorium rund um den Absturzort zurückzuerobern. Als Grund wird angegeben, dass so Beweise nicht weiter verfälscht werden könnten. Aufgrund der Kämpfe können 30 unbewaffnete niederländische Polizisten nicht wie geplant das Gelände absichern. Die Armee erklärte, die strategisch wichtige Gegend um Saur-Mogila erobert zu haben.

Die Europäische Union verschärfte unterdessen die Sanktionen gegen Russland. Die Botschafter der 28 EU-Staaten wollten nach Angaben von Diplomaten am Montagnachmittag in Brüssel über Einreiseverbote und Kontensperrungen gegen weitere Personen beraten. Dabei soll es um den inneren Kreis des russischen Präsidenten Wladimir Putin gehen. Die Entscheidungen der Botschafter inklusive der Namen sollen am Dienstag abgeschlossen werden. Dann wollen die EU-Botschafter auch Wirtschaftssanktionen beschließen.

Bisher wurden 87 Russen und Ukrainer auf die Liste genommen. Dazu kamen 20 Unternehmen und Institutionen. Das alles läuft formal noch unter der Stufe zwei. Die nun angedrohten Wirtschaftssanktionen mit einem Waffenembargo sowie ein Ausfuhrverbot für Spezialtechnologien zur Ölförderung würden einen Übergang zur Stufe drei bedeuten. Das wären die schärfsten Strafmaßnahmen. (som)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2014)

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