„Die Täter sind unter uns“

Bruno Vekaric, Serbiens stellvertretender Sonderstaatsanwalt für Kriegsverbrechen
Bruno Vekaric, Serbiens stellvertretender Sonderstaatsanwalt für KriegsverbrechenHelmar Dumbs
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Bruno Vekarić von der serbischen Sonderstaatsanwaltschaft für Kriegsverbrechen über den Kampf gegen die Straflosigkeit am Balkan.

Die Presse: Serbiens Sonderstaatsanwaltschaft für Kriegsverbrechen existiert seit 2003. Wie lang muss es sie noch geben?

Bruno Vekarić: Durch die Schließung des Haager Jugoslawien-Tribunals (ICTY) wird es noch einige Zeit nötig sein, dass sich nationale Gerichte mit Kriegsverbrechen beschäftigen. Es gab mehr als 100.000 Opfer auf dem Gebiet des gesamten Ex-Jugoslawiens, aber bisher wurden die Täter nur in einem Bruchteil der Fälle verfolgt. Daraus können Sie schließen, wie viel Arbeit noch zu tun ist. Solange noch so viele Todesopfer zwischen uns stehen, kann es in der Region keine wirkliche Versöhnung geben. Und unsere Arbeit ist gleichzeitig eine Botschaft, damit so etwas nicht mehr geschehen kann.

Wird das ICTY zu früh geschlossen, hat es zu wenig getan?

Das ICTY war eine historische Notwendigkeit. Als es eingerichtet wurde, waren die politischen Eliten der verschiedenen Länder nicht bereit, sich der Tatsache zu stellen, dass solche Verbrechen in ihren Gesellschaften begangen wurden. Generell denke ich, dass das ICTY tolle Arbeit geleistet hat, auch wenn wir Experten bestimmte Mängel sehen.

Oft wurde der mangelnde Zeugenschutz kritisiert, etwa im Prozess gegen Ex-UÇK-Führer Haradinaj. Wird das beim künftigen Kosovo-Tribunal anders sein? Was erwarten Sie von diesem Gericht?

Wir wissen ja noch nicht einmal genau, wie dieses Gericht beschaffen sein wird. Was ich mir erwarte? Gerechtigkeit für die Opfer und ihre Familien. Denn sie erwarten Antworten auf die Verbrechen, die zwischen 1998 und 2000 verübt wurden. Wir in Serbien sollten aber keinerlei Triumphgefühl dabei empfinden, wenn ein Gericht über die Verbrechen urteilt, die die andere Seite begangen hat. Wir sollten einfach weiter an unseren eigenen Fällen arbeiten. Das Wichtigste ist der gemeinsame Kampf gegen die Straflosigkeit. Man darf nicht vergessen, dass eine ganze Reihe von Tätern noch mitten unter uns ist, sie gehen mit unseren Kindern zu Fußballspielen, wir begegnen ihnen beim Einkaufen.

Nach den Beweisen, die Sie selbst gesammelt haben: Wie stichhaltig sind die Vorwürfe in Bezug auf Organhandel durch die UÇK? Reicht es für eine Anklage?

Ja, aber die Täter sind nicht greifbar. Das Erste, was wir taten, als wir Hinweise auf den Organhandel hatten: Wir sprachen in Tirana mit den dortigen Staatsanwälten, auf Basis eines 2005 geschlossenen Abkommens über Kooperation in Fällen schwerster Verbrechen. Die albanischen Ermittler standen einer Zusammenarbeit aufgeschlossen gegenüber, aber die politische Reaktion stand dem entgegen. Der Justizminister sagte, sie hätten nichts damit zu tun. Die Politik ist für unsere Arbeit manchmal eine Bürde. In einige unserer Fälle sind in verschiedenen Ländern ja auch Teile der politischen Elite involviert. Und diese ist dann unwillig, auch nur darüber zu reden.

Wie hat sich Ihre Arbeit im Laufe der Zeit verändert? Steigt, wenn einige Jahre seit den Verbrechen vergangen sind, die Bereitschaft der Leute, doch noch auszusagen, sich ihr Wissen von der Seele zu reden?

Im Gegenteil, das Vergehen der Zeit ist kein begünstigender Faktor. Die Menschen tendieren eher dazu, die Sachen zu vergessen und zu verdrängen, sie wollen das hinter sich lassen. Ein anderes Problem ist wie gesagt der Schutz dieser Zeugen. Manche Leute sind einfach nicht bereit, auszusagen, weil damit ihr Leben und das ihrer Familie in Gefahr gerät. Und von den Tätern sind ja einige nach wie vor in den Rängen von Polizei oder Armee - und daher sehr unwillig, über die Verbrechen zu sprechen. Es gibt unter ihnen ein Schweige-Übereinkommen, denn sie wissen, wenn einer zu sprechen beginnt, machen andere weiter. Das ist wie in der Cosa Nostra.

Nimmt nach der Verhaftung von Radovan Karadzic und Ratko Mladic - denen ja jemand bei der Flucht geholfen haben muss - der Schutz für Kriegsverbrecher ab?

Das waren halt die zwei prominentesten Fälle. Aber es gibt viele andere, und es gibt noch immer eine starke Spaltung in der Gesellschaft. Auf der einen Seite sind einige Menschen der Meinung, dass diese Leute dazu berechtigt waren, Verbrechen zu begehen, weil auch die andere Seite Verbrechen beging. Sie neigen dazu, diese Verbrechen mit Patriotismus zu bemänteln. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Leute, die der festen Meinung sind, dass man sich seiner Vergangenheit stellen und die Verbrechen verfolgen muss.

Im Falle von Karadzic war es ja nach einem Regierungswechsel ganz plötzlich möglich, ihn zu finden...

Der politische Wille ist für unsere Arbeit natürlich sehr wichtig, und er war auch wichtig für die Lokalisierung der Tribunals-Flüchtigen. Es ist wie bei einem Fußballspiel. Bevor es nicht einen Pass aus dem Mittelfeld gibt, kann der Stürmer kein Tor schießen. Es hängt viel vom Umfeld ab, ob ein Fall erfolgreich zu Ende geführt wird oder nicht. Wir wussten erst 2008, dass der politische Wille existierte. Davor, während der Kostunica-Regierung, hatte ich Zweifel, dass der Wille existierte. Für jeden Polizisten, der in die Suche involviert war, ist der politische Wille eine klare Botschaft: Ob er, wenn er beispielsweise Mladic gesehen hat, dies auch bemerkt und dem Rechnung trägt, oder ob er so tut, als hätte er ihn gar nicht gesehen.

Hat die Regierung Kostunica Ihre Arbeit aktiv behindert?

Das ist schwer zu sagen und zu beweisen: Wenn sie das getan hätten und wir Beweise für die Obstruktion hätten, dann hätten wir ja jemanden verhaften können. Aber es besteht der Verdacht, dass in manchen Fällen nicht alles getan wurde, was hätte getan werden müssen: Wenn etwa zwei Objekte untersucht hätten werden sollen, und dann wird vom Einsatzteam nur eines inspiziert und das andere eben nicht: Was ist das dann? Ist das unprofessionelles Verhalten, oder ist es etwas Schwerwiegenderes?

Ist das jetzt ein hypothetischer oder ein realer Fall?

Das ist tatsächlich passiert.

Sie beschäftigen sich seit über zehn Jahren mit den schlimmsten Verbrechen. Wie kommt man persönlich damit zurecht?

Nun, natürlich ist es riskant, was wir machen. Nicht nur wir Ermittler werden bedroht - Chefermittler Vukčević und ich erhielten etwa 70 Drohbriefe, bei unseren Wagen wurden die Scheiben eingeschlagen und die Reifen aufgestochen - auch meine Kinder sind Drohungen ausgesetzt. Ja, es ist ein heikler Job, aber für die Zukunft unserer Gesellschaft ist diese Arbeit wichtig. Diese Leute müssen einfach verhaftet werden, denn wenn sie weiter frei herumlaufen, sind sie fähig, unsere Kinder zu attackieren, nur weil sie einem anderen Fußballverein anhängen, genau so wie sie fähig waren, Leute einer anderen ethnischen Gruppe anzugreifen.

ZUR PERSON

Bruno Vekarić (*1967 in Kroatien) ist einer der Stellvertreter des serbischen Sonderstaatsanwalts für Kriegsverbrechen und auch für die Kommunikation der 2003 eingerichteten Behörde nach außen verantwortlich. Die Sonderstaatsanwaltschaft beschäftigt sich mit Kriegsverbrechen, die auf dem gesamten Territorium des ehemaligen Jugoslawiens begangen wurden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2014)

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