Wie sich die neuen „Regionalherren“ breitmachen

Russland, China und der Iran etablieren sich als Regionalmächte – die drei Länder verbindet eine fundamentale Ablehnung der westlichen, liberalen Weltordnung.

„Die Welt ist ein Chaos.“ In knappen Worten fasste unlängst Ex-US-Außenministerin Madeleine Albright den Zustand der internationalen Beziehungen anno 2014 zusammen. „Können Sie sich erinnern, dass wir jemals so viele Konflikte an so vielen unterschiedlichen Plätzen gleichzeitig hatten?“, fragte sie den Interviewer im TV-Sender CBS.

Von der Ukraine-Krise, den sich täglich verschärfenden Spannungen im Süd- und Ostchinesischen Meer bis hin zu den Nahost-Kriegen – neu aufgeflammte, geopolitische Rivalitäten haben einen großen Anteil daran, dass die internationale Ordnung aus der Balance geraten ist. Russland, China und der Iran geben dabei die zunehmend forschen „Regionalherren“.

Verhasster Liberalismus

Gemeinsam haben diese sehr unterschiedlichen Länder Folgendes: Sie machen kein Geheimnis mehr daraus, dass sie in „ihrem Hinterhof“ die politische und militärische Oberhand bekommen wollen. Und dass sie den Einfluss des Westen – der EU und der USA – als immer bedrohlichere Konkurrenz sehen. Nicht nur territorial. „Diese Länder lehnen das dominierende demokratie- und wirtschaftspolitische, liberale westliche Modell ab, politisch sowie ideologisch“, schreibt der Politologe Shaun Breslin. „Sie wollen beweisen, dass die Zukunft nicht unbedingt von der westlichen Ordnung bestimmt sein muss.“

Das gilt in erster Linie für Russland. Wohl kein anderer Staat hat den Westen so sehr überrascht: Vor einem Jahr hätte kaum jemand erwartet, dass Präsident Wladimir Putin seine postsowjetischen, imperialen Ambitionen tatsächlich umsetzen würde: Mit der Annexion der Krim und der – zwar nie eingestandenen aber offensichtlichen – Intervention in der Ostukraine hat sich Russland in der Region eindeutig wieder als aggressive Hegemonialmacht etabliert. Und hat deutlich gemacht, dass es auch mit Gewalt die EU- oder gar Nato-Annäherung eines seiner „Satelliten“ unterminieren werde: Auslöser der Ukraine-Krise war bezeichnenderweise die geplante Unterzeichnung des EU-Assozierungsabkommens mit Kiew. Konkret träumt Russland von einer Eurasien-Union – also einem „Revival“ der Sowjetunion unter anderen politischen Vorbedingungen: Mitglieder sind Kasachstan und Weißrussland – in der Pipeline befinden sich offenbar unter anderem Tadschikistan, Armenien und Kirgisistan.

China beobachtet indes genau die Reaktion des Westens auf das russische Vorgehen – und hält sich dabei auffällig zurück. Bei seinen eigenen Hegemonialbestrebungen im Pazifik (und dem Bestreben, den US-Einfluss zurückzudrängen) setzt es vor allem auf demonstrative Muskelspiele, wie derzeit eine fünftägige Militärübung im politisch heiklen Südchinesischen Meer zeigt. Aufgrund von Territorialansprüchen im ressourcenreichen Gebiet befindet sich das KP-Regime im Dauerkonflikt mit zahlreichen südostasiatischen Staaten. Noch brisanter ist der Konflikt mit dem US-Alliierten Japan wegen der unbewohnten Inseln im Ostchinesischen Meer: Beobachter warnen, dass der Streit außer Kontrolle geraten könnte – zumal die Krise in Japan für ein gefährliches nationalistisches Revival sorgt.

Der „große Satan“

Kaum ein Regime zeigt seinen Antiamerikanismus so offen wie das in Teheran. Die Mullahs verteufeln die USA als „großen Satan“. Wie Peking macht auch Teherans Machtanspruch nicht vor Ländergrenzen halt: Im regionalen Machtpoker inszeniert sich der Iran als Schutzpatron der Schiiten und damit als Gegengewicht zum sunnitischen Saudiarabien, dem engsten regionalen Verbündeten der verhassten US-Regierung. Die Mullahs drängen auf eine überregionale Einflusszone, eine schiitische Achse, die sich von der Küste des Libanon am östlichen Mittelmeer über Syrien und den Irak ausdehnen soll. Teheran unterstützt deshalb die im Libanon mitregierende Schiiten-Miliz Hisbollah, seine Revolutionsgarden diktieren den Kampf des syrischen Assad-Regimes gegen sunnitische Rebellen – und sie stützen die schiitisch dominierte Regierung des Irak.

Der aggressive, anti-westliche Nationalismus all dieser Länder dient auch innenpolitischen Zwecken: Geschwächt durch eine kriselnde Wirtschaft, Korruption und hohe Arbeitslosigkeit punkten die Führungen mit Patriotismus. „Gefüttert“ wird die nationalistische Rhetorik mit der Geschichte: Russland und China verherrlichen ihre „glorreiche“ imperiale Vergangenheit, sogar der strengreligiöse Iran erinnert sich gern öffentlich an das Perserreich. In historischen Diskursen spielen (durch den Westen verursachte) „demütigende Niederlagen“ eine tragende Rolle.

Eine komplexe Beziehung

Die Beziehung dieser drei neuen Großmächte ist allerdings komplex. Einerseits kooperieren sie wirtschaftlich: China ist wichtigster Exportmarkt für iranisches Öl. Aus Russland bezieht der Iran seine Waffen. Mit dem vom Westen isolierten Russland wiederum hat Peking gerade erst einen lukrativen Gasvertrag abgeschlossen. Doch eigentlich hat das Trio gegenläufige Ziele: Die (konkurrierenden) Ölproduzenten Russland und Iran haben Interesse an hohen Preisen, Konsument China hingegen möchte billiges Öl. Das wirkt sich politisch aus: Ein instabiler Naher Osten kommt Teheran und Moskau entgegen, wäre aber ein Problem für Peking. Moskau hingegen befürchtet den zunehmenden Einfluss Chinas in Zentralasien.

Dazu die US-Zeitschrift „Foreign Affairs“: „Diese Länder verbindet die Überzeugung, dass der Status quo in der internationalen Politik revidiert werden muss.“ China, Russland (und begrenzt auch der Iran) strebten deshalb eine „multilaterale Ordnung an“, die nicht von den USA dominiert wird. Einer Ordnung, die ihnen genug Raum gibt, um sich als Regionalmacht zu etablieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2014)

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