Geiseln: Eine sichere Bank für al-Qaida

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Das Entführen von Europäern ist eine Haupteinnahmequelle der Terroristen. Laut „New York Times“ zahlte auch Österreich 2008 zwei Millionen Euro. Das Außenamt dementiert freilich.

Wien. Frei, endlich, nach 252 Tagen in den Händen von al-Qaida. Österreichs damalige Außenministerin Ursula Plassnik ließ es sich nicht nehmen, am 31. Oktober 2008 persönlich in die malische Hauptstadt Bamako zu fliegen und die zwei „Sahara-Geiseln“ Wolfgang Ebner und Andrea Kloiber in Empfang zu nehmen und nach Hause zu geleiten. Dass für die Befreiung Lösegeld geflossen sei, verneinte Plassnik. Was hätte sie auch sonst tun sollen. Doch die Spekulationen, dass genau dies passiert sei, hielten sich hartnäckig.

Glaubt man einem Informanten der „New York Times“, dann flossen exakt zwei Millionen Euro. Bei der Quelle handelt es sich um Ibrahim Ag Assaleh, einen malischen Parlamentarier, der angeblich in die Verhandlungen involviert war. Im Außenamt weist man den Bericht rundheraus zurück: „Österreich hat nie Lösegeld gezahlt, auch nicht verdeckt, und es hat nie jemand anderer in unserem Namen bezahlt“, sagt Ministeriumssprecher Martin Weiss zur „Presse“. Auch nicht unter dem Etikett Entwicklungshilfe, das habe damit nichts zu tun.

In einer umfassenden Recherche hat die US-Zeitung Entführungsfälle seit 2003 zusammengetragen und zieht daraus einen eindeutigen Schluss: Das Kidnappen von Ausländern zwecks Lösegelderpressung ist mittlerweile eine Haupteinnahmequelle der verschiedenen Filialen des Terrornetzwerks geworden, eine sichere Bank.
„Eure Regierungen sagen immer, dass sie nicht zahlen. Wenn du zurückkehrst, will ich, dass Du sagst, dass Deine Regierung gezahlt hat. Sie zahlen immer“, sagte ein Entführer der 2012 verschleppten Italienerin Marisandra Mariani.

Geiseln müssen gesund bleiben

Sie zahlen viel, und sie zahlen offenbar immer mehr: Die von der „Times“ zusammengetragenen Fälle summieren sich auf 125 Millionen Dollar seit 2008 – und gut die Hälfte davon wurde allein 2013 bezahlt. Das US-Finanzministerium geht sogar von 165 Mio. Dollar aus. Die Preisentwicklung beim bei Terroristen immer begehrteren „Rohstoff Geisel“ ist dabei beachtlich: Hätten die Kidnapper 2003 pro Kopf „nur“ etwa 200.000 Dollar erhalten, so könnten es im Extremfall heute bis zu zehn Millionen sein. Jede (europäische) Geisel ist bares Geld in den Händen der Entführer, was auch erklärt, dass diese bemüht sind, ihre Zwangsgäste bei guter Gesundheit zu halten und im Notfall einen Arzt herbeischaffen, wie die Italienerin Mariani berichtete.

Geändert hat sich nicht nur die zu lukrierende Summe, geändert haben sich auch die Methoden. Während die Kidnapper von 32 europäischen Geiseln (darunter auch zehn Österreicher) nach den Berichten der Freigelassenen reichlich unorganisiert waren und ständig zum Improvisieren gezwungen waren, ist mittlerweile alles perfekt durchorganisiert: Nahrung, Treibstoff, ja sogar ganze Fahrzeuge werden zur späteren Verwendung vergraben und mithilfe von GPS bei Bedarf wieder ausfindig gemacht. Hat man 2003 zur Kommunikation einen Brief unter einem Stein (!) hinterlassen, so bedient man sich heute eines Satellitentelefons.

Die al-Qaida-Leute treten dabei aus Sicherheitsgründen heute selten selbst in Aktion: Das Entführungshandwerk habe man an Kriminelle ausgelagert, denen die Geiseln dann abgekauft werden. Auch die Verhandlungen laufen oft über Mittelsmänner. Auf der anderen Seite gibt es Belege, dass sich sogar die al-Qaida-Spitze bis hinauf zu Osama bin Laden persönlich über einzelne Fälle informieren ließ und etwa den lokalen Führer von al-Qaida im Maghreb rüffelte, weil er eigenmächtig gehandelt und zu wenig Lösegeld extrahiert habe.

Britischer Pass ist Totenschein

Al-Qaida entführt auch längst nicht mehr per Zufall. Man weiß, welche Staaten zahlen, und welche nicht (USA, Großbritannien). „Geiseln sind eine Investition, und du wirst nicht investieren, wenn du nicht ziemlich sicher bist, dass es sich auszahlt“, zitierte die „New York Times“ den Genfer Terrorismusforscher Jean Paul Rouiller, oder, wie es der Bruder des 2009 getöteten in Österreich ansässigen Briten Edwin Dyer sagte: „Ein Pass des Vereinigten Königreichs ist im Wesentlichen ein Totenschein.“  (hd)

Auf einen Blick

Das Erpressen von Lösegeld gehört mittlerweile zu den wichtigsten Einkommensquellen von al-Qaida. Laut Recherchen der „New York Times“ zahlten europäische Regierungen seit 2008 rund 125 Millionen Dollar, davon gut die Hälfte allein im vergangenen Jahr. Das US-Finanzministerium schätzt sogar, dass seit 2008 rund 165 Millionen Dollar bezahlt wurden. Die infrage kommenden europäischen Regierungen weisen dies zurück.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2014)

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