Argentiniens taktische Pleite

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ARGENTINA DEBT(c) APA/EPA/David Fern�ndez (David Fern�ndez)
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Argentinien schlittert wieder in den Staatsbankrott. Diesmal ist es nur ein Schachzug von Buenos Aires im Kampf gegen US-Hedgefonds. Man nutzt die juristische Verwirrung, um Zeit zu gewinnen.

Wien. Argentinien ist bankrott. Wieder einmal. Aber so simpel, wie es klingt, ist die Lage diesmal nicht. Denn Buenos Aires wäre durchaus noch zahlungsfähig – es scheitert eher am Willen. Der Staatsbankrott vom Donnerstag ist ein Schachzug im Kampf der argentinischen Regierung gegen US-Hedgefonds. „Die Presse“ beantwortet die wichtigsten Fragen.

1 Ist Argentinien nun zahlungsunfähig oder doch nicht?

Das kommt darauf an, wen man fragt. Daniel Pollack, der Schlichter im Streit zwischen dem Land und den Hedgefonds, die auf Rückzahlung alter Anleiheschulden plus Zinsen geklagt haben, sagt Ja. Finanzminister Axel Kicillof sagt Nein. Am konkretesten beantwortet es die Ratingagentur Standard & Poor's, die Argentinien auf Selective Default gesetzt hat. Auf einen teilweisen Zahlungsausfall also.

2 Soll das heißen, das südamerikanische Land ist nicht ganz, sondern ein bisschen pleite?

Im Prinzip ja. Bei dem Streit zwischen Buenos Aires und den Hedgefonds geht es nur um eine Summe von 1,5 Mrd. Euro. Argentinien hat Währungsreserven von 22 Mrd. Euro. Man könnte also zahlen, will aber nicht. Nach dem „echten“ Staatsbankrott 2001 hat man sich mit den meisten Gläubigern auf einen Schuldenschnitt von 70 Prozent geeinigt. Die Hedgefonds wollen den Schnitt aber nicht akzeptieren und haben in New York geklagt. Die fraglichen Anleihen wurden in Dollar ausgegeben und unterliegen deswegen US-Recht. Das Gericht hat im Sinn der Hedgefonds entschieden, aber Argentinien blockiert.

3 Was ist das Worst-Case-Szenario, und wie sieht die Strategie Argentiniens aus?

Buenos Aires spielt auf Zeit. Bis Ende 2014 könnten die vom Schuldenschnitt betroffenen Gläubiger dank einer Klausel ihre Zustimmung noch rückgängig machen – sollte Argentinien die Hedgefonds bezahlen. Das könnte 100 bis 400 Mrd. Euro kosten, was den sicheren „echten“ Staatsbankrott bedeuten würde, den totalen Zahlungsausfall.

4 Was passiert bei einem Staatsbankrott? Wie direkt sind die Bürger betroffen?

Über die Folgen kann man nur spekulieren, aber die Faustregel lautet: Je abhängiger die Bürger vom Staat, desto schlimmer die Folgen. Oft werden Staatspleiten von extrem hoher Inflation begleitet, weil der Staat Geld drucken lässt, um Gehälter und Rechnungen zu bezahlen. Die Argentinier sind enorme Inflation längst gewöhnt. Große Zahlungen werden in Dollar abgewickelt, auf dem Land gibt es oft Kooperativen, die gänzlich außerhalb des staatlichen Währungssystems Handel treiben. In Europa hätte ein Staatsbankrott andere Folgen, wie man in Griechenland gesehen hat. Dort wurden die sozialen und andere staatlichen Leistungen drastisch zurückgefahren – obwohl der offizielle Bankrott ebenfalls durch einen Schuldenschnitt verhindert wurde. Da die Regierung dank des Euro kein Geld drucken kann, ist das Land in die Deflation gerutscht. Heißt: Preise und Löhne sinken. Beim Streit um die Schuldengrenze wurden zuletzt sogar in den ebenfalls schwer verschuldeten USA die Nationalparks geschlossen und Beamte auf Zwangsurlaub geschickt.

5 Sind nicht zumindest die rechtlichen Folgen absehbar?

Nein. Eine internationale Rechtsnorm zum Thema Staatsbankrott existiert nicht. Es gibt nur vier Institutionen, die bei dem Thema eine gewichtige Stimme haben: die drei großen Ratingagenturen und die sogenannte International Swaps and Derivatives Association (ISDA). Sie entscheidet, ob ein Bankrott vorliegt und damit die Kreditausfallversicherungen fällig werden, die Credit Default Swaps. Diese Papiere sind ein Lieblingsspielzeug von Spekulanten, die damit auf einen Staatsbankrott wetten können. Solche Derivate wurden vom legendären Investor Warren Buffett einmal als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“ bezeichnet. Die klagenden Hedgefonds halten freilich selbst solche CDS. Sie werden also in jedem Fall Geld verdienen. Der Clou: Die ISDA besteht aus Abgesandten der zehn größten Banken der Welt – und einiger Hedgefonds. Unter anderem sitzt dort am Tisch: Elliott Management. Und dieser Fonds des Milliardärs Paul Singer ist einer der Hauptkläger gegen Argentinien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2014)

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