Kriegsverbrechen: Die syrische Galerie des Grauens

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Ein Exfotograf der syrischen Militärpolizei ist mit den Fotos von 11.000 Opfern des Assad-Regimes geflüchtet und sagte nun in Washington aus. Die US-Regierung will auf Basis dieser Beweismittel einen Prozess gegen Assad.

Washington. Nackte Leichen von Menschen, die zu Skeletten abgemagert waren, bevor man sie erwürgte, erschlug, erschoss. Bilder ähnlich denen aus den Vernichtungslagern der Nazis oder denen von den Massenmorden des sowjetischen Geheimdienstes in den 1930er-Jahren. Dutzende Fotos davon, hunderte, tausende, zehntausende. Am Donnerstag trat jener ehemalige syrische Militärpolizist, der vor einigen Monaten mit rund 50.000 Fotos von Opfern des Regimes von Bashar al-Assad aus Damaskus geflüchtet ist, erstmals öffentlich auf. Vor dem außenpolitischen Ausschuss des US-Repräsentantenhauses in Washington schilderte „Caesar“ – sein echter Name bleibt zum Schutz seines Lebens geheim –, wie er für das syrische Regime in einem Damaszener Krankenhaus tausende Folteropfer ablichtete.

„Was in Syrien passiert, ist ein genozidales Massaker“, sagte der in eine blaue Kapuzenjacke gehüllte Mann vor dem Ausschuss. Mehrere Abgeordnete hatten angesichts der Fotos sichtlich Schwierigkeiten, ihren Brechreiz zu unterdrücken. „Klipp und klar: Das sind Kriegsverbrechen“, sagte Eliot Engel, der ranghöchste Demokrat im Ausschuss.

Vergleich mit Nazis und Roten Khmer

Die US-Bundespolizei FBI und Strafverfolgungsbehörden nicht genannter anderer Staaten sind damit befasst, die Identität der Opfer auf den Bildern festzustellen. Dass die Fotos echt sind, bezweifelt angesichts ihrer Anzahl und Beschaffenheit niemand. Zwei Arbeitsgruppen sind damit befasst, einerseits Reisepässe und sonstige Personalausweise mit den Gesichtern der Opfer zu vergleichen (sofern diese das noch zulassen) und andererseits einen Überblick über das syrische Gefängniswesen zu gewinnen.

Die Ermittler wollen herausfinden, wer zu welcher Zeit an welchen Orten für welche Gefängnisse zuständig war. Die US-Regierung will ein Dossier zusammenstellen, das als Grundlage für eine Anklage gegen Präsident Assad und seinen Vollstreckern vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag dienen soll.

Rund 11.000 Folteropfer dürften auf den Bildern zu sehen sein, etwa 6700 davon hat man bisher als Einzelpersonen identifiziert, nur von 100 kennt man die Namen. Im US-Außenministerium ist für diese Arbeit Stephen Rapp zuständig, ein früherer Ankläger an den UN-Kriegsverbrechertribunalen für Ruanda und Sierra Leone. Unlängst sprach er in einer Telefonkonferenz mit der „Presse“ und Vertretern anderer Medien. Die Anzahl und Detailliertheit der Fotos habe ihn erstaunt, sagte er: „Das syrische Regime hat eine Manie für die Dokumentation seiner Taten, die man seit den Tagen der Nazis und der Roten Khmer nicht gesehen hat. In anderen Gegenden der Welt betreibt man einen hohen Aufwand, um solche Verbrechen zu vertuschen.“

Weißes Haus im moralischen Zwiespalt

Die Offenbarungen von „Caesar“, der diese Woche in Washington auch Vertreter des US Holocaust Memorial Museums getroffen hat, stellen Präsident Barack Obama vor einen Zwiespalt. Denn seit die radikalislamistischen Kämpfer des Islamischen Staates (IS) – Assads härteste Feinde – große Teile Syriens und des Iraks unter ihre Gewalt gebracht haben, ist Obamas ohnehin großer Widerwille zur Aufrüstung der syrischen Opposition noch größer geworden. Seine Sorge, amerikanische Waffen könnten in die Hände von Extremisten fallen, ist gewachsen. Der Abschuss des malaysischen Flugzeugs über der Ostukraine durch prorussische Freischärler hat die Aussicht auf US-Flugabwehrraketen für Syriens Rebellen noch weiter verringert. Zudem gibt es im Weißen Haus Stimmen, die raten, mit Assad gegen IS gemeinsame Sache zu machen.

US-Sonderbotschafter Rapp hält von einer Straffreiheit für Assad wenig: „Die Vorstellung, dass diese Art von Verbrechen einfach unter den Teppich gekehrt werden, ist in der heutigen Welt unmöglich. Wenn sie so extrem sind, gibt es keine Amnestie.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2014)

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