Schweizer Crux mit den Initiativen

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Bei den Eidgenossen ist eine Debatte über die Auswirkungen der Volksinitiativen ausgebrochen. Nur die Konservativen und Populisten nutzen dieses Instrument erfolgreich.

Wien/Bern. Wenn über neue Regeln und Rahmen der Demokratie unserer Zukunft sinniert wird, dann ist der Fingerzeig Richtung Schweiz unvermeidlich. Die Schweiz: Hort der direkten Demokratie, der Mitbestimmung, der Referenden und Initiativen. Dabei hat Bern gerade wegen Letzterem selbst eine Debatte über die künftige Ausrichtung des eidgenössischen Demokratiemodells am Hals. Den Ernst der Lage fasst vielleicht ein Satz zusammen, der es öfter in die Zeitungsforen schafft: „Die Schweiz hat zu viel direkte Demokratie.“

Erst diese Woche hat der „Tagesanzeiger“ einen „konservativen Aufstand“ im Land beklagt. Denn: Noch nie waren Initiativen so erfolgreich wie bei den zeitgenössischen Eidgenossen. Seit der Einführung des Initiativrechts 1891 wurden 22 angenommen – allein neun davon in den letzten zehn Jahren. Der Eindruck einer Initiativinflation täuscht aber, sagt Michael Hermann vom Thinktank Sotomo in Zürich. „Neu ist, dass die Initiativen viel häufiger erfolgreich sind.“ Und dieser Erfolg geht auf das Konto der Konservativen und Rechten im Land.

Die letzte erfolgreiche Initiative der Sozialdemokraten fand 1918 statt; damals wurde dem Proporzwahlrecht zugestimmt. Die von den Jungsozialisten initiierte „1:12-Initiative“ für gerechte Löhne wurde erst vergangenes Jahr abgelehnt.

Im Clinch mit der EU

So tragen die angenommenen Initiativen der vergangenen Jahre die Handschrift der Konservativen und der rechtspopulistischen SVP: gegen den Bau von Minaretten (2009), Ausschaffung krimineller Ausländer (2010), gegen Masseneinwanderung (2014). Dass gerade jetzt die Debatte über die Initiativen losgebrochen ist, hängt damit zusammen, dass die Konflikte mit übergeordnetem Recht zunehmen, sagt Hermann. Sprich: Elemente der angenommenen Initiativen stehen im Widerspruch zu Grund- und Völkerrecht. Mit der EU liegt die Schweiz seit dem Ja „gegen Masseneinwanderung“ im Clinch, da auch EU-Bürger von diesen Kontingenten betroffen sind. Auch die automatische Ausweisung von gewissen Personen ohne Rücksicht auf persönliche Lebensumstände sei problematisch.

Es entsteht der Eindruck, dass die Initiativen zunehmend zu einem politischen Kampfmittel werden. Statt als ein Korrektiv zu wirken, wird eine Entscheidung als Druckmittel zwischen Stimmvolk, Opposition und der Regierung eingesetzt. Gerade für die Initiatoren dienen sie als PR-Instrument, bemängeln Kritiker. Die tatsächliche Umsetzung rücke dabei immer öfter in den Hintergrund. Zumal das internationale Sauber-Image der Alpenrepublik vor allem durch die letzten Initiativen auch Schrammen erhalten hat.

Kann das Parlament dem also nichts entgegensetzen oder nicht reagieren, droht die Volksdiktatur, sagt Hermann: „Dabei ist auch die Regierung demokratisch legitimiert. Wir brauchen also eine starke politische Elite, die den Konflikt mit der Stimmbevölkerung nicht scheut.“

Bei all den Debatten um eine Reform des Initiativrechts – es wird beispielsweise gefordert, die Zahl der nötigen 100.000 Unterschriften zu erhöhen – steht eines außer Frage: den Schweizern ist die direkte Demokratie heilig. Wer sie infrage stellt, begeht politisches Harakiri. Dass bestimmte Fragestellungen von den Initiativen ausgeschlossen würden, steht ebenfalls nicht im Raum: „Die Mehrheitsbevölkerung würde niemals akzeptieren, wenn ihnen Bereiche weggenommen würden“, sagt Daniel Bochsler vom Zentrum für Demokratie Aarau.

Versammlungen abschaffen?

Beobachtern bereitet vielmehr die zunehmende Polarisierung der Fragestellungen und der daraus resultierenden Mehrheiten Kopfzerbrechen. Das hat nicht zuletzt mit der Rolle der SVP zu tun, so Bochsler.

Unterdessen wird auch auf kommunaler Ebene über eine Reform der direkten Demokratie laut nachgedacht. Einige Gemeinden wollen die Gemeindeversammlungen abschaffen – weil sie kaum mehr besucht werden, und wenn doch, dann meist von älteren Bewohnern. Die Hemmschwelle ist natürlich groß: Eine derartige Errungenschaft ohne Weiteres ad acta zu legen, ist freilich nicht unproblematisch. Daher wird über Alternativen nachgedacht, etwa Abstimmungen per Brief oder Übertragung der Fragestellung auf das Regionalparlament. Aber bevor das entschieden werden kann, muss natürlich auch das Volk zustimmen.

AUF EINEN BLICK

Volksinitiative. Die Schweiz hat das Initiativrecht 1891 eingeführt, seither wurden 22 Initiativen angenommen – neun davon in den vergangenen zehn Jahren. Heuer wurde zugestimmt, dass Pädophile nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen und dass „Masseneinwanderung“ eingedämmt werden soll. Erfolgreich sind vor allem die Initiativen der Konservativen und der rechtspopulistischen SVP.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2014)

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