Nahost: Israel nimmt nicht an Verhandlungen in Kairo teil

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Nach der Entführung eines israelischen Soldaten verstärkt Israel die Angriffe auf den Gaza-Streifen.

Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi hat den Waffenstillstandsplan seiner Regierung am Samstag als "echte Chance" bezeichnet, um eine Konfliktlösung zwischen Israel und der radikal-islamischen Hamas zu finden. Zu den Verhandlungen in Kairo wurden am Samstag Vertreter mehrerer palästinensischer Organisationen erwartet. Aus Jerusalem wird laut israelischen Regierungskreisen niemand entsendet.

Israel weitete stattdessen seine Angriffe auf den Gazastreifen seit Freitag massiv aus, nachdem dort möglicherweise der 23-jährige israelische Leutnant Hadar Goldin von militanten Palästinensern verschleppt wurde. Ganze Truppenformationen durchkämmten im südlichen Gazastreifen Häuser und verdächtige Orte, unterstützt von massivem Artilleriefeuer, berichtete die israelische Tageszeitung "Haaretz" am Samstag online. Eine Militärsprecherin bestätigte, dass Israel in den vergangenen 24 Stunden 200 Ziele im palästinensischen Gebiet am Mittelmeer angegriffen hat.

Israel fing drei Raketen ab

Die meisten dieser Ziele lagen in der südlichen Stadt Rafah und ihrem Umland. Dort verschwand Goldin am Freitag in der Früh. Unter den Zielen war auch ein Gebäude auf dem Universitätsgelände in Gaza, das nach Darstellung des Militärs von der Hamas zur Entwicklung von Waffen genutzt wurde. Das israelische Abwehrsystem fing in der Früh drei Raketen ab, zwei davon im Gebiet von Tel Aviv.

Nach Angaben palästinensischer Rettungskräfte wurden seit dem Verschwinden Goldins mindestens 114 Palästinenser getötet und 350 weitere verletzt. Allein am Samstag in der Früh seien bei israelischen Luftangriffen in Rafah und Gaza 57 Menschen getötet worden, darunter 15 Mitglieder einer Familie, erklärte ein Sprecher.

Israels Justizministerin Zipi Livni warf der Hamas vor, für die Entführung Goldins verantwortlich zu sein, und erklärte, diese werde einen "hohen Preis" dafür zahlen. UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon und US-Präsident Barack Obama forderten die sofortige und bedingungslose Freilassung des Soldaten.

Der mutmaßlich von Hamas-Kämpfern verschleppte israelische Soldat ist inzwischen möglicherweise tot. Die Hamas bestritt Goldin in ihre Gewalt gebracht zu haben und erklärte, sie habe keine Kenntnisse über den Aufenthaltsort des Soldaten. "Wir haben den Kontakt zu den Kämpfern verloren, und wir gehen davon aus, dass sie alle bei dem Beschuss Israels gestorben sind", teilten die Qassam-Brigaden, der bewaffnete Arm der Hamas, mit. Sollten die Kämpfer im Süden des Gazastreifens den Soldaten tatsächlich verschleppt haben, muss er der Brigade zufolge ebenfalls ums Leben gekommen sein.

Sprengstoffweste

Nach Angaben des israelischen Militärs arbeitete die Einheit des vermissten Soldaten an der Zerstörung eines sogenannten "Terror-Tunnels", als militante Palästinenser sie angriffen. Der unterirdische Gang reichte zwei Kilometer tief in israelisches Gebiet hinein. Die palästinensischen Kämpfer seien aus dem Tunnel heraus aufgetaucht und hätten den israelischen Trupp angegriffen, berichtete die "Jerusalem Post". Demnach zündete einer von ihnen eine Sprengstoffweste, wie sie Selbstmordattentäter verwenden. Zwei israelische Soldaten wurden dabei getötet.

Der israelischen Armee zufolge ereignete sich der Angriff eineinhalb Stunden nach Beginn einer dreitägigen humanitären Waffenruhe, die die Vereinten Nationen (UNO) und die USA zwischen Israel und der Hamas vermittelt hatten. Israel erklärte daraufhin die Waffenruhe für gescheitert und verstärkte seine Angriffe.

Ein ranghohes Hamas-Mitglied widersprach dieser Darstellung. Die Entführung sei vor Beginn der Waffenruhe passiert, sagte Moussa Abu Marzouk, der Vize-Auslandschef der radikal-islamischen Hamas, der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu.

Ungeachtet der abermaligen Verschärfung des Konflikts wurde am Samstag eine palästinensische Delegation zu Gesprächen über eine Waffenruhe in Kairo erwartet. Der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas versicherte am Freitag, eine Delegation aus Vertretern seiner Fatah-Bewegung, der Hamas und des Islamischen Jihad werde "auf jeden Fall" nach Kairo reisen.

Ein israelischer Militärsprecher sagte, das Militär stehe kurz vor Erreichen seiner Ziele der Offensive. "Nach unserer Auffassung stehen unsere Ziele, vor allem die Zerstörung der Tunnel, kurz vor dem Abschluss", sagte Oberstleutnant Peter Lerner. Dies könnte ein erstes Signal sein, dass sich die Kämpfe nach dreieinhalb Wochen abschwächen könnten. Die Zerstörung des weitverzweigten Tunnelsystems, das die Hamas als Waffenlager und für Vorstöße in das israelische Kernland nutzt, war erklärtes Ziel der israelischen Offensive.

Großbritanniens Vize-Premier Nick Clegg forderte indes Israels Regierung zu direkten Gesprächen mit der Hamas auf. Nur so könne der gegenwärtige Konflikt beendet werden, schrieb der Parteichef der britischen Liberalen am Samstag im "Guardian." Er wich damit deutlich von der offiziellen Position der von den Konservativen geführten Regierungskoalition ab. Premierminister David Cameron hat sich stets auf Appelle zur Waffenruhe beschränkt und sich jeder Kritik Israels enthalten.

"Es ist für die israelische Regierung an der Zeit, mit der politischen Führung von Hamas in Gaza zu reden", schrieb Clegg. Er wisse, dass sein Aufruf kontrovers sei und verstehe die "Existenzangst" des israelischen Volkes. Tatsache sei aber, dass alle bisherigen Militäraktionen die Raketenangriffe auf Israel nicht verhindert hätten. Ein dauerhafter Frieden könne nicht durch "schießen oder besetzen" erreicht werden.

Zudem gab die britische Regierung bekannt, dass weitere drei Millionen Pfund (3,77 Mio. Euro) für humanitäre Hilfe im Gazastreifen zur Verfügung gestellt wurden. Damit erhöht sich die britische Unterstützung im gegenwärtigen Konflikt damit auf 13 Millionen Pfund. Die jüngste Tranche soll für Nahrungsmittel und Notunterkünfte ausgegeben werden.

Der US-Kongress stimmte unterdessen für die finanzielle Unterstützung der israelischen Raketenabwehr. Das Repräsentantenhaus in Washington beschloss am späten Freitagabend praktisch geschlossen, für die Ausstattung des Systems "Iron Dome" (Eiserne Kuppel) 225 Millionen Dollar (knapp 168 Millionen Euro) zur Verfügung zu stellen. Mit dem Geld soll das Abwehrsystem wieder mit neuen Raketen ausgestattet werden.

Seit Beginn der israelischen Militäroffensive am 8. Juli wurden über 1.650 Palästinenser getötet, mehr als 8.900 wurden verletzt. Die meisten von ihnen waren Zivilisten. Die Wasser- und Stromversorgung im Gazastreifen liegt am Boden, die Bewohner ganzer Ortschaften sind in dem abgeriegelten Küstenstreifen auf der Flucht. Aufseiten Israels kamen 63 Soldaten ums Leben. Drei Zivilisten starben durch Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen.

(APA/Reuters/AFP)

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