Irak: „Wir Christen verteidigen uns bis zum Ende“

(c) REUTERS (MUHAMMAD HAMED)
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Davon, die andere Wange hinzuhalten, hält die christliche Brigade Babylon nichts. Die Christen-Miliz im Irak will der Vertreibung durch Extremisten, wie sie zuletzt in der Großstadt Mosul im Norden erfolgte, nicht tatenlos zusehen.

Vorneweg trägt ein Mann ein Bild vom Letzten Abendmahl. Dahinter folgen Soldaten, Offiziere und Sympathisanten der christlichen Brigade Babylon, Pistolen im Schulterhalfter, Maschinengewehre in der Hand. Mit diesem Aufmarsch im Bagdader Stadtteil al-Karada will man Entschlossenheit und Stärke demonstrieren: Man ist bereit, seinen Glauben zu verteidigen und notfalls dafür sein Leben zu lassen. Gerade jetzt, da die Existenz des Christentums im Irak wie nie zuvor auf dem Spiel steht.

„Wir sind der älteste Bevölkerungsteil des Landes“, erklärt Ryan al-Kaldeny, Kommandeur der Brigade Babylon, der mit schwarzem Turban, Sonnenbrille und Kalaschnikow in der ersten Reihe marschiert: „Nun kommen diese Terroristen und wollen uns aus dem Irak vertreiben, der eigentlich uns gehört.“ Im normalen Leben ist al-Kaldeny Geschäftsmann in Anzug und Krawatte. „Jetzt ist Uniform angesagt“, sagt der 35-Jährige. „Schließlich sind wir im Krieg.“

Terroristen, das ist der Islamischen Staat (IS). Die Islamistengruppe hat binnen weniger Wochen große Teile des Landes besetzt und steht vor den Toren Bagdads. „Sie wollen nicht nur die Regierung stürzen, sie haben es besonders auf Christen abgesehen“, erzählt al-Kaldeny im Hauptquartier der Brigade Babylon. An den Wänden auch hier Bilder des Letzten Abendmahls, einige Kruzifixe, in einer Ecke eine Marienstatue.

Ausgeraubt und vertrieben

„Es ist eine gezielte Vertreibungspolitik, wie man am Beispiel von Mosul klar erkennen kann.“ Die Grenzstadt zu Syrien im Norden war am 10. Juni vom IS eingenommen worden. Die Islamisten forderten die Christen auf, zum Islam zu konvertieren oder Schutzgeld zu bezahlen. Sonst drohe die Todesstrafe. Am vergangenen Wochenende sprengte der IS das Grab Jonas', der sowohl im Islam wie im Christentum als Prophet gilt.

„Alle in Mosul verbliebenen Christen flohen“, erzählt al-Kaldeny: „An den Checkpoints wurden sie ausgeraubt, Geld, Schmuck, Autos und sogar Telefone nahm man ihnen ab.“ Für den 35-Jährigen ist die Vertreibung der Christen aus Mosul Resultat einer Verschwörung: „Viele Einwohner, von denen wir dachten, man könnte ihnen trauen, kooperierten mit dem IS und verrieten ihre Nachbarn.“

Auf die Ereignisse von Mosul sei die Miliz Babylon nicht vorbereitet gewesen. Nun sei man aber besser strukturiert und bekomme ständig neue Rekruten, derzeit sind 2500 Mann unter Waffen. Mosul, wo zuvor 25.000 Christen lebten, wolle man unbedingt zurückerobern, gemeinsam mit der irakischen Armee. Bis es dazu kommt, wird noch einige Zeit vergehen.

Statt Fronteinsatz organisiert man derzeit Unterkünfte für christliche Flüchtlinge. In Bagdad sind Einwohner aus Mosul in Kirchen und Schulen untergebracht. Hier werden christliche Einrichtungen von der Brigade Babylon rund um die Uhr bewacht. Trotzdem kann es jederzeit zu Anschlägen kommen. Eine umfassende Kontrolle ist in der Stadt mit mehr als sieben Millionen Einwohnern unmöglich.

Die Stimmung in der christlichen Gemeinde ist angespannt: „Für uns gibt es keine echte Sicherheit“, sagt Alfred Paulus, ein 25-jähriger Student. In den nächsten Tagen wird er mit seiner Familie den Irak verlassen. Das Geschäft für Klimaanlagen und das Haus sind bereits verkauft. Man will erst in die Türkei und dann weitersehen. „Überall ist es besser als im Irak“, sagt Paulus, der in Australien leben möchte. „Ich kenne es nur aus dem Fernsehen, aber ich habe Freunde dort. Die sagen, es ist gut.“

Vor vier Jahren war ihm und seiner Familie erstmals der Gedanke an Auswanderung gekommen. Am 31. Oktober 2010 hatte der IS (damals noch unter dem Namen Islamischer Staat im Irak) etwa 100 Gottesdienstbesucher der Marienkathedrale in Bagdad als Geiseln genommen. Bei der Befreiungsaktion durch Spezialeinheiten starben 58 Menschen. „Danach waren wir hin und her gerissen, ob wir gehen sollten oder nicht“, sagt Paulus. „Dann kam Weihnachten 2013, und unsere Abreise war besiegelt.“

Anschläge zu Weihnachten

Die Rede ist von den Anschlägen am 25. Dezember. Im Viertel Dora explodierten zuerst zwei Autobomben auf einem Markt unweit der St.-Johann-Kirche. Minuten später detonierte das dritte Auto direkt vor der Kirche, als die Gläubigen nach der Messe ins Freie strömten. 38 Menschen starben. „Da wussten wir, es ist an der Zeit zu gehen.“

Aber nicht nur die Anschläge machten das Leben für Christen unzumutbar: „Jeden Tag kann man einen Zettel unter der Türe finden, auf dem steht, man solle aus dem Haus verschwinden oder man werde getötet“, berichtet Paulus. Seinen Freunden sei das passiert, und einige davon habe man erschossen. „Im Stadtteil Dora lebten überwiegend Christen, nun sind wir in der Minderheit. So geht das.“

„Ende des Christentums“

Und so geht es im ganzen Irak, die Christen werden immer weniger. „Man kann heute keine verlässlichen Zahlen nennen“, sagt Vater Mansur, der der griechisch-katholischen Gemeinde in Bagdad vorsteht: „Aber man kann vom nahenden Ende des Christentums im Irak sprechen.“ Von christlichen Milizen hält er wenig, Gewalt sei nicht der Weg der Kirche. Der Priester führt dagegen Seminare durch, in denen das gesamte Kulturerbe der Region gelehrt wird.

Der Kommandeur der Brigade Babylon hat gegen den friedlichen Weg der Kirche nichts Aber al-Kaldeny will dem Exodus der Christen nicht tatenlos zusehen und die „Hände in den Schoss legen“, wie er sagt. Er denke nicht daran, auszuwandern und das Land seiner Väter aufzugeben. Im Gegenteil: „Wir werden uns bis zum bitteren Ende verteidigen.“ Und sollten die Christen aus Bagdad und anderen Gebieten im Irak vertrieben werden, hat al-Kaldeny eine Lösung parat: „Unser letzter Plan ist die Errichtung einer autonomen Provinz auf dem Gebiet Kurdistans.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2014)

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