Italien: Renzi sucht Hilfe bei Berlusconi

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Italiens Premier Matteo Renzi empfängt am Donnerstag den verurteilten Cavaliere: Renzi hofft auf Unterstützung bei der Verabschiedung seiner Reformagenda, die im Parlament feststeckt.

Dieses Paar wird Italien verändern: Renzi traut nur noch Berlusconi“, titelte am Sonntag etwas hämisch „il Giornale“, die Tageszeitung von Berlusconi-Bruder Paolo.
Ob der derzeit um seine Verfassungsreform ringende linksdemokratische Regierungschef wirklich so vereinsamt ist, ist fraglich. Doch auf den Sanktus des wegen Steuerbetrugs verurteilten Berlusconi scheint Matteo Renzi angewiesen zu sein: Mit den Stimmen der Berlusconi-Partei Forza Italia hofft der sozialdemokratische Premier, das Herzstück seiner Reformpläne noch vor der Sommerpause umzusetzen – die Umwandlung des Senats in eine Regionalkammer (und somit das Ende des blockadeanfälligen Zweikammersystems) und die Vereinfachung des komplizierten Wahlgesetzes.

Seinen umstrittenen Vorgänger will Renzi nun am Donnerstag höchstpersönlich im Regierungspalast in Rom empfangen. Am selben Tag soll über die Senatsreform abgestimmt werden. Das Treffen mit dem Cavaliere sorgt bereits vorab für heftige Diskussionen: Renzis Anhänger sprechen von „Realpolitik“, von einem „pragmatischen“ Schachzug, um die notwendigen Reformen umzusetzen. Kritiker hingegen verurteilen die Entscheidung als de facto „Rehabilitierung“ des Medienmilliardärs, der nahezu zwei Jahrzehnte lang die italienische Politik bestimmte.

„Rehabilitierung“ Berlusconis

Der bereits mehrmals politisch totgesagte Berlusconi hofft indes auf eine politische Renaissance: Nach dem unlängst erfolgten Freispruch in einem Prozess wegen Sex mit Minderjährigen hat der Cavaliere ganz offen sein Comeback angekündigt. Er träume von der Wiedervereinigung der Mitte-rechts-Allianz, sagte er mit Blick auf die „abtrünnige“ Partei von Innenminister Angelino Alfano. Und Berlusconi schloss nicht aus, dass er den Block anführen wolle.
Konkret geht es beim Treffen am Donnerstag um die Reform des Wahlgesetzes – der zweiten Säule der Verfassungsreform Renzis. Die derzeitige Regelung wird für die knappen Mehrheitsverhältnisse im Parlament verantwortlich gemacht.

In Rom halten sich hartnäckig Gerüchte, Renzi werde dem Cavaliere für seine Unterstützung Zugeständnisse machen – etwa in Form eines Gesetzes, das trotz der Verurteilung eine Wiederkandidatur Berlusconis möglich machen würde. Der Premier dementiert das vehement. „Es wird nie mehr Gesetze geben, die auf Berlusconi persönlich zugeschnitten sind“, sagte er gestern in einem Interview. Der Pakt mit Berlusconi betreffe allein die Wahlreform und sei bereits fix. Er wies darauf hin, dass er im Sinne Italiens die Reformen gemeinsam mit der Opposition durchbringen wolle. Forza Italia ist drittstärkste politische Kraft im Parlament.

Doch Renzi geht es nicht nur um die Verfassungsreform. Auf dem Spiel steht seine Glaubwürdigkeit als „radikaler Erneuerer“ Italiens: Die tumulthaften Szenen rund um das Gesetzespaket erinnern stark an alte Zeiten: Seit Wochen steckt die Reform im Parlament fest – blockiert nicht nur von der Opposition, sondern auch von Angehörigen der regierenden Linksdemokraten. Erst vergangene Woche kam es zu Handgreiflichkeiten, eine Abgeordnete musste mit ausgerenkter Schulter ins Spital gebracht werden.

Italien droht erneut Stagnation

Als Renzi, der charismatische Ex-Bürgermeister von Florenz, im Februar an die Macht kam, versprach er, Italien innerhalb von 100 Tagen zu reformieren. Aus den 100 Tagen sind jedenfalls bereits bescheidenere 1000 geworden – und auch diese Zeitspanne könnte für den Premier knapp werden. Denn der lähmende Streit wegen der Verfasssungsreform könnte nur ein Vorgeschmack dessen sein, was den anderen ehrgeizigen Reformplänen des Regierungschefs drohen könnte: Die Verabschiedung der Arbeitsmarktreform (Lockerung des Kündigungsschutzes), Verwaltungsreform (Rationalisierung der Provinzen und Entbürokratisierung), Justizreform (Verkürzung der Prozessdauer) und Steuerreform (Senkung der Unternehmenssteuer) wurden auf Herbst verschoben. All diese Vorhaben stecken seit Monaten im Parlament fest.

Die drittgrößte Euro-Volkswirtschaft braucht aber dringend Reformen: Arbeitslosigkeit (12,3 Prozent) und Staatsverschuldung (rund 133 Prozent) liegen auf Rekordniveau, seit 2007 schrumpfte die Wirtschaft um neun Prozent. Trotz der von Renzi gekonnt inszenierten Aufbruchstimmung zeigt die Konjunktur kaum Zeichen der Wiederbelebung: Das Statistikinstitut Istat prognostiziert „eine weitere Phase der Stagnation.“

Auf einen Blick

Italiens Premier Matteo Renzi will noch vor der Sommerpause seine Verfassungsreform verabschieden: Herzstück ist die Umwandlung des Senats in eine Regionalkammer, damit soll das blockadeanfällige Zweikammersystem reformiert werden. Auch das komplizierte Wahlgesetz will Renzi vereinfachen: Dafür hofft er auf die Unterstützung des wegen Steuerbetrugs verurteilten Ex-Premiers Berlusconi, den er am Donnerstag treffen will.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2014)

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