Sanktionen: Russen schreckt Import-Bann nicht

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Supermarkt-Kunden sind zuversichtlich, dass Russland nach Wegfall der Westprodukte andere Lieferländer finden wird. Als problematisch könnten sich Preissteigerungen erweisen.

Moskau. Schluss mit italienischem Parmesan, österreichischem Schinken und finnischem Joghurt: Nach dem Importverbot für Lebensmittel aus der EU, den USA, Norwegen, Australien und Kanada könnten in Russland wieder vermehrt Borschtsch, Pelmeni und Blini serviert werden. Allerdings nicht freiwillig: Die Einführung solch genauer und sorgfältiger Sanktionen war eine schwierige Entscheidung, Russland sei zu diesem Schritt gezwungen worden, wie Premierminister Dmitrij Medwedew in einer Regierungssitzung am Donnerstag sagte.

Einen Tag später ist in den Auslagen der Moskauer Supermärkte von einem Embargo kaum etwas zu spüren: Äpfel aus Südtirol liegen neben spanischen Pfirsichen. In der Kühlabteilung gibt es Wolfsbarsch aus Italien, daneben spanischen Schinken sowie Käse aus fast jedem Land Europas. Einzig die Etiketten auf den Verpackungen werden heute länger studiert und das Personal nach der Herkunft der Produkte gefragt, doch beirren lässt sich ein Großteil der Konsumenten durch das Embargo nicht.

Sorglos im „Geschmacks-ABC“

„Mich betrifft das nicht“, gibt sich Iwan überzeugt. Der 34-jährige Bankangestellte löst gerade das Schloss an seinem Fahrrad, das er draußen vor einer Filiale der Supermarktkette „Geschmacks-ABC“, die über ein großes Sortiment importierter Lebensmittel verfügt, abgestellt hat. Derselben Meinung ist auch Swetlana: „Es wird zu keinen Problemen führen“, glaubt die Pensionistin. Viele sind der Meinung, der Westen werde sich mit den Sanktionen ins eigene Fleisch schneiden. Russland könne problemlos jederzeit auf andere Lieferanten zurückgreifen.

Schon jetzt stammen viele Früchte aus der Türkei; Asien und Südamerika werden von dem Embargo profitieren. Zudem wir das Embargo als Chance für den Aufbau der eigenen Landwirtschaft gesehen – ein Punkt, den vor allem die staatlichen Medien unermüdlich betonen.

Ein Großteil der Russen lässt sich von den Sanktionen der EU und den USA nicht beeindrucken: 64 Prozent sehen dadurch auf sich und ihre Familien keine oder nur geringe Probleme zukommen. Zu diesem Schluss kommt eine am Freitag veröffentlichte Umfrage, die allerdings noch kurz vor dem Embargo-Beschluss durchgeführt wurde. 72 Prozent befürworten Strafmaßnahmen Moskaus gegen ausländische Unternehmen als Antwort auf den Westen. Daran wird sich wohl kaum etwas ändern, solange in den Regalen der meisten Supermärkte keine gravierenden Lücken zu klaffen beginnen.

Experten schließen nicht aus, dass für einige Lebensmittel kein Ersatz gefunden wird. Nähere Angaben dazu wollen die Supermärkte noch nicht machen. Die Lebensmittelbranche rechnet derzeit nur mit geringen Auswirkungen auf das operative Geschäft im Land.

Bumerang für Russland

Die deutsche Metro-Gruppe, die 73 Großmärkte in Russland betreibt, kauft die meisten Produkte im Land selbst ein. „Wir haben trotzdem umgehend mit alternativen Beschaffungsstrategien begonnen“, sagte ein Metro-Sprecher auf „Presse“-Anfrage. Drastische Preissteigerungen aufgrund des Embargos will der Konzern vermeiden.

Kommt es dazu, könnte sich das Embargo für Russland als Bumerang erweisen. Nach wie vor können sich viele Russen gut an die Hyperinflation der 1990er erinnern. Im Juli betrug die Inflation bei Lebensmitteln 9,7 Prozent (insgesamt: 7,5 Prozent). Aufgrund von bereits eingeführten Handelseinschränkungen sind die Preise für Fleisch gestiegen, verdeutlicht eine Analyse der VTB Capital. Die neuen Importverbote könnten dazu führen, dass die Inflation weiter steigt. Dann hätte der Kreml mit dem Embargo nicht nur die delikatessenhungrige urbane Mittelschicht getroffen, die den Entscheid in sozialen Netzwerken mit Spott kommentierte, sondern auch die breite Maße derer, die Putins Politik unterstützen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2014)

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