Deutschland: Die neue deutsche Ostdiplomatie

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BRAZIL GERMANY RUSSIA DIPLOMACY(c) APA/EPA/ALEXEY NIKOLSKY /RIA NOVOSTI / K (ALEXEY NIKOLSKY /RIA NOVOSTI / K)
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Nach Willy Brandt begründen Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier eine neue Ära in der Ostpolitik. In der Ukraine-Krise versuchen sie sich als Vermittler zu profilieren.

Berlin/Wien. Die Ostdiplomatie hatte Angela Merkel auch in ihrem Südtirol-Urlaub auf Trab gehalten. Mit Kiew und Moskau stand sie telefonisch permanent in Kontakt, vom Suldental am Fuß des Ortlers hielt sie den Draht zum russischen Präsidenten Wladimir Putin aufrecht. In der Ukraine-Krise spielen die deutsche Kanzlerin und vor allem ihr Außenminister Frank-Walter Steinmeier eine tragende Vermittlerrolle. Anfangs eher ungewollt beherzigen sie so den Appell des Bundespräsidenten Joachim Gauck, der bei der heurigen Münchner Sicherheitskonferenz Deutschland als außenpolitische Macht stärker in die Pflicht genommen hat.

Angesichts des bevorstehenden 75. Jahrestags des Hitler-Stalin-Pakts war es darum mehr als ein symbolischer Akt, als Merkel bei ihrem Besuch in der lettischen Hauptstadt Riga am Montag ein Blumengebinde vor dem Freiheitsdenkmal niederlegte. Denn die Balten, traumatisiert von der jahrzehntelangen Sowjetherrschaft, interpretierten die Zeremonie auch als Zeichen der Solidarität in politisch instabilen Zeiten.

An der Seite Poroschenkos

Zugleich erreichte Merkel für den Samstag, den Vorabend des Unabhängigkeitstags, auch eine Einladung nach Kiew. An der Seite des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko soll sie den Expansionsdrang Putins in der Ostukraine Paroli bieten – oder zumindest die Gemüter beruhigen.

Am Rande der Feierlichkeiten zum 70-Jahr-Jubiläum der Invasion in der Normandie hatte Merkel im Juni schon einmal Putin und Poroschenko zusammengeführt, was eine kurzzeitige Entspannung zur Folge hatte. Am Dienstag wird sie freilich fehlen, wenn sich Putin im Beisein von EU-Politikern in der weißrussischen Hauptstadt Minsk erneut mit Poroschenko trifft.

Die Tochter eines ostdeutschen Pastors und der ehemalige KGB-Agent in Dresden pflegen eine ambivalente Beziehung. Als Geheimdienstmann versteht sich Putin auf Einschüchterungstaktik: Als er Merkel im Wissen um deren Hundephobie einmal in seiner Sommerresidenz in Sotschi empfing, ließ er die Labradorhündin Koni von der Leine. Doch beherrschen beide die Sprache des Gegenübers, und der Westen traut der Kanzlerin am ehesten zu, Putin zur Räson zu rufen – bisher vergeblich.

Währenddessen müht sich Frank-Walter Steinmeier nach Kräften, den Ukraine-Konflikt zu entschärfen. Gemeinsam mit seinem französischen Amtskollegen Laurent Fabius redete er am Sonntagabend bei einem Treffen in Berlin den Außenministern Russlands und der Ukraine ins Gewissen. Der einzige Erfolg bestand jedoch darin, das Vierer-Format fortzusetzen. Die Kehrtwende Steinmeiers zu einem Kritiker der russischen Machtpolitik ist vielleicht am bemerkenswertesten, galt der ehemalige Kanzleramtschef doch stets als Mann Gerhard Schröders – und diesen verbindet mit Putin eine veritable Männerfreundschaft, zuletzt offenherzig zelebriert bei einer Geburtstagsgala in St. Petersburg.

„Putin-Versteher“ Schröder

Der Ex-Kanzler steht an der Spitze der sogenannten Putin-Versteher, seinen Parteifreunden bereitet dies zunehmend Unbehagen. Links wie rechts regt sich indes nach wie vor die nostalgische Erinnerung an die Entspannungspolitik Willy Brandts im Kalten Krieg, die Deutschland eine Vermittlerrolle zwischen Ost und West beschert hat.

Als die USA Deutschland dazu drängten, eine Führungsrolle bei der Verschärfung der Sanktionen einzunehmen, war die deutsche Wirtschaft alles andere als glücklich. Das Handelsvolumen zwischen den beiden Staaten beläuft sich auf 76 Mrd. Euro, Deutschland bezieht mehr als ein Drittel seiner Energie aus Russland. Mittlerweile gelten die Deutschen als die schärfsten Kritiker Putins innerhalb der EU. Anders als Frankreich und Großbritannien hat Deutschland Rüstungsgeschäfte mit Russland rigoros gestoppt.

Die deutsche Wirtschaft folgt zähneknirschend der Logik von Finanzminister Schäuble: Die unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen seien nachrangig, denn „eine Beeinträchtigung von Frieden und Stabilität wäre die größte Gefahr für die wirtschaftliche Entwicklung“. Dabei sind die Unternehmen stark von der Eiszeit betroffen: In den ersten fünf Monaten sackten die Exporte nach Russland um 15Prozent ab. Mehr noch drücken der Vertrauensverlust und die Unsicherheit aufs Geschäft. Viele Mittelständler halten sich bei Deals mit russischen Partnern zurück, große Konzerne können sich das kaum leisten. Siemens-Chef Joe Kaeser erntete viel Kritik, als er sich auf dem Höhepunkt der Krim-Krise mit Putin traf. Der Manager plädiert dafür, den „Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen“.

AUF EINEN BLICK

Ukraine-Krise. Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier sind bei der Vermittlung im Ukraine-Konflikt federführend. Merkel wird am Samstag, am Vorabend des Unabhängigkeitstags, nach Kiew reisen. Steinmeier initiierte ein Vierer-Treffen der Außenminister in Berlin, zusammen mit den Amtskollegen aus Frankreich, Russland und der Ukraine. Trotz Murrens aus der Wirtschaft gelten die Deutschen als schärfste Putin-Kritiker in der EU.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2014)

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