Der bisherige Außenminister gilt als äußerst loyal. Er wäre für Erdogan, der demnächst in den Präsidentenpalast umzieht, daher der ideale Nachfolger an der Regierungsspitze.
Seit Tagen war darüber gemunkelt worden, nun ist es so gut wie sicher: Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu soll neuer Premier der Türkei werden und damit Recep Tayyip Erdogan nachfolgen, der am 10. August zum Präsidenten gewählt wurde. Dies sagte der scheidende Präsident Abdullah Gül vor Journalisten in der Hauptstadt Ankara. „Wir müssen ihm alle bei seiner Aufgabe helfen“, fügte Gül hinzu. Er selbst habe Davutoglu einst davon „überzeugt, in die Politik zu gehen" und werde ihn weiter unterstützen.
Davutoglu ist ein enger Vertrauter Erdogans und seit 2009 Außenminister. Auch in türkischen Medien wurden ihm zuletzt die besten Chancen eingeräumt, neuer Ministerpräsident und Parteichef von Erdogans islamisch-konservativer AKP zu werden. Die AKP-Führung will offiziell am Donnerstag entscheiden, wer die beiden Posten übernimmt.
Gül hat sich durch Kritik unbeliebt gemacht
Sollten sich Güls Angaben bestätigen, wäre Davutoglu jedenfalls eine logische Wahl: Er gilt als äußerst loyal - und hat dies in den vergangenen Jahren auch unter Beweis gestellt. Erdogan hat bereits angekündigt, die Rolle des Staatschefs wesentlich aktiver ausfüllen zu wollen als sein Vorgänger Gül, er suchte daher als Nachfolger an der Regierungsspitze jemanden, auf den er sich bedingungslos verlassen kann.
Lange Zeit war gemunkelt worden, dass Gül und Erdogan nach dem russischen Modell (Putin - Medwedjew) einfach die Plätze tauschen würden. Doch hat sich Gül im vergangenen Jahr zusehends durch Kritik an Erdogan profiliert, indem er etwa die von der Regierung verfügte Twitter-Sperre durch das demonstrative Verwenden des Kurznachrichtendienstes gebrochen hat. Auch Vizepremier Bülent Arinc ist seit den Anti-Regierungs-Protesten rund um den Istanbuler Gezi-Park vor einem Jahr gelegentlich mit Kritik an Erdogan hervorgetreten und hat sich damit bei diesem nicht unbedingt als Nachfolger an der Regierungsspitze empfohlen.
"Null Probleme mit Nachbarn" klappte nicht
Davutoglu ist eigentlich Politologe, spezialisiert auf Internationale Beziehungen. Als Universitätsprofessor leitete er vor seinem Gang in die Politik das Institut für Internationale Beziehungen an der Beykent Universität in Istanbul.
Der scheidende Premier Erdogan holte den angesehenen Theoretiker, dessen Buch "Strategische Tiefe" als Blaupause seiner späteren multi-dimensionalen Außenpolitik gilt, zunächst als Berater. Im Mai 2009 berief er ihn dann zum Außenminister. Davutoglus Politik unter dem Motto "Null Probleme mit den Nachbarn" hatte zunächst Erfolg: Mit der Regierung der nordirakischen Kurdengebiete hat man gute Beziehungen, mit Syrien wurden die Handelsverbindungen massiv ausgebaut (bis der syrische Bürgerkrieg dem ein Ende setzte), und sogar mit Armenien gab es zunächst eine Annäherung. Heute allerdings stellt sich die Lage in der Region anders dar, was Kritiker der Regierung prompt zu einer Adaptierung des Slogans veranlasste: "Keine Nachbarn ohne Probleme."