Jubel im Gazastreifen über die Waffenruhe, die Hamas-Führer tauchen wieder aus der Versenkung auf. In Israel regt sich Skepsis, Premier Netanjahu gerät intern stark in Bedrängnis.
Jerusalem. Stundenlang feierten die Palästinenser im Gazastreifen den Waffenstillstand, der diesmal unbegrenzt sein soll. Zum ersten Mal seit Wochen tauchten auch führende Köpfe der Hamas aus der Versenkung auf. Israels Garantie, von gezielten Exekutionen der palästinensischen Islamisten vorerst abzusehen, war die letzte Klausel des von Ägypten vermittelten Kompromisses über eine Waffenruhe.
Ein Hamas-Sprecher versprach den Israelis im Umland des Gazastreifens, sie könnten jetzt in Sicherheit in ihre Häuser zurückkehren. Tausenden Bewohnern der Kibbuzim unweit der Grenze reichte die Garantie indes nicht aus. Zahlreiche Ämter und Kindergärten in Israel blieben vorerst geschlossen.
Die Einigung „krönt die starke Position des palästinensischen Volkes und den Sieg des Widerstands“, jubelte Mussa Abu Marsuk, die Nummer zwei im Politbüro der Hamas. Tatsächlich weicht der Kompromiss nur wenig von den vor zwei Jahren getroffenen Waffenstillstandsregelungen ab. Dazu gehören Erleichterungen des Grenzverkehrs und die Ausweitung der Fanggebiete für die Fischer. Offen bleibt der Gefangenenaustausch, das Ende von Israels See- und Luftblockade, wie sie die Hamas fordert, und umgekehrt Israels Bedingung, den Gazastreifen zu entmilitarisieren. Innerhalb eines Monats sollen die Verhandlungen über die schwierigen Punkte beginnen. Sollte es keine Einigung geben, ist ein neuer Krieg eine Frage der Zeit.
Priorität: Humanitäre Hilfe
Das Wichtigste ist zunächst die Lieferung humanitärer Hilfsgüter und von Baumaterial. Nach Informationen der PLO sind 600.000 Palästinenser obdachlos. Die Stromversorgung hat schweren Schaden genommen. Zum ersten Mal seit acht Jahren ermöglichte Ägypten einem Konvoi der UN-Organisation WFP (World Food Programm) die Einreise in den Gazastreifen.
Neu an der Waffenstillstandsregelung ist die Rückführung der Fatah-nahen „Force 17“-Sicherheitstruppen, die auf palästinensischer Seite für die Kontrolle der Grenzübergänge zuständig sein sollen. Die Sicherheitskräfte waren im Sommer 2007 bei den blutigen Auseinandersetzungen mit der Hamas vertrieben oder entwaffnet worden.
Die Zusammenarbeit von Hamas und Fatah im Sicherheitsbereich könnte sich auf dem Weg zur langfristigen Befriedung des Gazastreifens als erste Fallgrube entpuppen. Für ein Gelingen der palästinensischen Versöhnung spricht die intensivierte Zusammenarbeit von Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas mit Khaled Mashal, dem Chef des Hamas-Politbüros. Die beiden Politiker waren zu Absprachen gezwungen, um bei den Waffenstillstandsverhandlungen eine klare palästinensische Position präsentieren zu können.
Erschwerend für den Versöhnungsprozess ist das harte Vorgehen der Hamas während des Krieges gegen Kritiker im Gazastreifen. Nach Informationen des israelischen Inlandsgeheimdiensts, Shin Beth, soll die Hamas zudem einen Putschversuch im Westjordanland geplant haben. Israels Regierungschef, Benjamin Netanjahu, lehnte bisher die Kooperation mit der Anfang Juni gegründeten palästinensischen Einheitsregierung ab.
Abbas plant indes eine neue diplomatische Offensive. Dafür ist der Zeitpunkt günstig. Israels Regierung steht international unter Druck. Zum ersten Mal verzögerten die USA kurzfristig die Lieferung von Kampfhubschraubern. Die westlichen Regierungen signalisierten zwar Verständnis für Israels Sicherheitsbedürfnisse, dennoch besteht Erklärungsbedarf für die hohe Zahl der getöteten Zivilisten im Gazastreifen. Der UN-Sicherheitsrat entschied bereits über eine Untersuchungskommission.
Popularitätszuwachs für Abbas
Auch in Israel gewann Abbas zuletzt deutlich an Popularität. Im Vergleich zur Hamas erscheint der Fatah-Chef nun doch wieder als geeigneter Partner für den Frieden. Sogar Netanjahu sprach jüngst von einem neuen „politischen Horizont“. Kompromisse dürften mit seiner Koalition indes schwierig sein. Denn in der Regierung in Jerusalem herrscht Unmut über den Autokraten Netanjahu, der das Schlachtfeld zu früh geräumt habe.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2014)