SPD in Sorge: Es fehlt beiden Kandidaten an Statur. Die Bürger würden am liebsten Ulrich Nussbaum an ihrer Spitze sehen.
Berlin. Eine Ära geht zu Ende, ein Machtkampf beginnt. Am Dienstag kündigte Berlins Langzeit-Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) seinen Rücktritt im Dezember an. „Höchste Zeit“, meinen drei Viertel der Berliner, bei denen das einst so beliebte Stadtoberhaupt durch das Flughafendebakel in Ungnade gefallen ist. Alle sind erleichtert über den noch freiwilligen und sogar humorig-beschwingten Abgang. Doch bei allem Ärger um den Großflughafen BER wissen die Berliner: Zur Strahlkraft ihrer Stadt, die Touristen, Kreative und Jungunternehmer aus aller Welt anzieht, hat auch das Charisma „Wowis“ beigetragen. Und dieses besondere Format scheint allen potenziellen Nachfolgern zu fehlen.
Der SPD-Landeschef, Jan Stöß (41), tritt gegen Fraktionschef Raed Saleh (37) an; zwischen ihnen soll die Parteibasis wählen. Beide sind jung und machtbewusst, aber es fehlt ihnen an Profil, Programm und rhetorischem Schwung. Saleh ist als geborener Palästinenser, der sich aus einfachen Verhältnissen hocharbeitete, die interessantere Figur. Ein Bürgermeister mit Migrationshintergrund wäre ein Novum für eine deutsche Großstadt. Der Parteilinke Stöß zeigt dagegen beim Thema Stadtentwicklung Profil.
Chance für CDU
Die Bürger würden am liebsten Ulrich Nussbaum an ihrer Spitze sehen. Aber als Parteiloser hat der Finanzsenator keine Chance. Die farblosen Kandidaten machen die Bundes-SPD nervös. Eine Niederlage in Berlin 2016 nähme ihrem nationalen Wahlkampf 2017 vom Start weg jeden Schwung. Deshalb soll Parteichef Sigmar Gabriel schon Martin Schulz, derzeit noch EU-Parlamentspräsident, geködert haben, doch der Retter von außen winkte angeblich ab.
Und Frank Henkel? Mit der ihm eigentümlichen Ruhe beobachtet der CDU-Stadtchef den Streit. Sollte der eskalieren, kann der Innensenator die Koalition immer noch platzen lassen – und hätte dann laut Umfragen selbst beste Chancen. Das Zeug zu einer internationalen Marke wie Wowereit hat freilich auch er nicht. (gau)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2014)