Russland wirft Kiew Lügen über angeblichen Einmarsch vor

Prorussische Separatisten (im Bild in Donezk) werden nach eigenen Angaben von russischen Soldaten in deren Urlaubszeit unterstützt.
Prorussische Separatisten (im Bild in Donezk) werden nach eigenen Angaben von russischen Soldaten in deren Urlaubszeit unterstützt.(c) APA/EPA/VALENTIN EGORSHIN (VALENTIN EGORSHIN)
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Russische Soldaten sollen an der Seite von Separatisten in der Grenzstadt Nowoasowsk einmarschiert sein. Auch in Mariupol stehen Gefechte bevor. Der UN-Sicherheitsrat tritt zusammen.

Bei den Kämpfen in der Ostukraine hat das russische Militär gemeinsam mit Separatisten-Kämpfern nach ukrainischen Angaben die Kontrolle über die Ortschaft Nowoasowsk übernommen. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko sprach laut seiner Webseite am Donnerstag wörtlich von einer "russischen Invasion". Die Nachrichtenagentur Reuters korrigierte allerdings wenig später die Übersetzung. Poroschenko soll lediglich davon gesprochen haben, dass russische Soldaten in die Ukraine "gebracht" worden seien.

Die Nato spricht von "deutlich mehr" als tausend russischen Soldaten, die in der Ukraine aktiv seien. Diese kämpften mit den Separatisten und unterstützten sie, sagte ein ranghoher Nato-Militärvertreter am Donnerstag im belgischen Mons. Zudem habe die Lieferung von Waffen und Ausrüstung aus Russland in Menge und Qualität zugenommen. Satellitenbilder sollen die Aussagen der Nato untermauern. "Die Bilder liefern zusätzliche Beweise dafür, dass russische Soldaten, die mit hochmodernen Waffen ausgerüstet sind, innerhalb des souveränen Territoriums der Ukraine operieren", sagte der niederländische Brigadegeneral Nico Tak am Donnerstag im Militärhauptquartier Mons.

Russland spricht von "Lüge"

Russland streitet jedenfalls ab: Als "Lüge" hat Vizechef des Verteidigungsausschusses des russischen Föderationsrats, Jewgeni Serebrennikow, die Äußerung des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko über einen russischen Einmarsch in der Ukraine zurückgewiesen. "In der Ukraine gibt es keine russischen Streitkräfte", sagte der Parlamentarier am Donnerstag zur russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti. "Wir haben bereits mehrere Erklärungen der ukrainischen Führung gehört, die sich dann schnell als Lüge erwiesen haben", kommentierte Serebrennikow. "Jetzt sind wir Zeugen einer neuen Ente."

Beratern von Präsident Wladimir Putin zufolge wurden aber mehr als 100 russische Soldaten vor zwei Wochen bei einer Schlacht in der Ostukraine getötet Zwei Mitglieder des von Putin eingesetzten Menschenrechtsrates, Ella Poljakowa und Sergej Kriwenko, beriefen sich am Donnerstag auf Augenzeugenberichte und Verwandte der Opfer. Am 13. August sei ein mit Munition beladener Konvoi nahe Snischnje in der Provinz Donezk von einer Salve "Grad"-Raketen getroffen worden, erklärten sie.

"Mehr als 100 Menschen starben", sagte Kriwenko per Telefon. Poljakowa sagte, ihr sei die selbe Zahl von getöteten russischen Soldaten zugetragen worden. Zudem habe es etwa 300 Verletzte gegeben.

Der UN-Sicherheitsrat hat eine Sondersitzung einberufen, die heute Abend um 18 Uhr begonnen hat. Litauen, ein nicht-ständiges Mitglieds, hatte von einer "Invasion" gesprochen und die  Sondersitzung gefordert.

Kampf um Mariupol

Poroschenko sagte einen geplanten Besuch in der Türkei ab und berief eine Notfallsitzung des nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates ein, um über weitere Schritte zu sprechen. Zuvor hatte bereits der Separatistenführer Alexander Sachartschenko erklärt, man mache an der Küste des Asowschen Meeres rasche Fortschritte. Man rücke nun mit Panzern zur Hafenstadt Mariupol vor.

Mariupol hat enorme strategische Bedeutung. Es ist die letzte große Stadt auf der Landverbindung zwischen Russland und der Krim. Moskau hatte sich die Halbinsel im März einverleibt.

"Die Befreiung der Stadt Mariupol ist eine Sache von Tagen", kündigte ein Separatistensprecher an. Die Armee bereitet sich auf eine Offensive vor. "Wir formieren zwei Verteidigungslinien und graben uns ein", sagte ein Militärsprecher in Kiew.

"Sind auf Urlaub"

Separatistenführer Alexander Sachartschenko erklärte am Donnerstag im russischen Fernsehen: "Unter uns sind kämpfende reguläre Soldaten, die ihren Urlaub lieber nicht an einem Strand nehmen würden, sondern bei ihren Brüdern sein wollen, die für ihre Freiheit kämpfen."

Es seien etwa 3000 russische Freiwillige, die die Separatisten unterstützen. Zugleich sagt Sachartschenko in einem Gespräch mit Reuters, dass die Rebellen das ukrainische Militär ohne Hilfe des russischen Staats besiegen könnten.

"Die russische Regierung hat viele Male klar gesagt, dass es keine regulären russischen Truppen dort gibt. Russland nimmt nicht an diesem bewaffneten Konflikt teil", sagt ein russischer Diplomat, der nicht genannt werden wollte, der Nachrichtenagentur Reuters am Donnerstag.

Erster Kontakt mit russischem Militär

Die ukrainischen Kämpfer sind Donnerstagmorgen nach eigenen Angaben im Osten des Landes erstmals mit russischen Soldaten in unmittelbare Berührung gekommen. Diese trügen zwar Separatisten-Flaggen, es handle sich aber um "reguläre russische Soldaten", sagte der Mann, der unerkannt bleiben wollte. Ukrainische Armeequellen meldeten indes, von Russland gestützte Separatisten hätten die strategisch wichtige Anhöhe Saur-Mogila eingenommen. Auch die Kämpfe im nahen Donezk gingen inzwischen weiter: Aus der von Separatisten besetzten Stadt wurden elf Tote durch Bombardement der ukrainischen Armee gemeldet.

Einfrieren russischer Mittel gefordert

Frankreichs Präsident Francois Hollande erklärte inzwischen, es wäre "intolerabel und inakzeptabel", sollten sich russische Truppen in der Ukraine befinden. Der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk hat am Donnerstag die USA, die EU und die G-7-Staaten darum gebeten, russisches Vermögen im Ausland bis zum Rückzug der russischen Truppen aus der Ukraine einzufrieren.

Deutliche Kritik am Vorgehen Russlands kommt auch vom polnischen Außenminister Radoslaw Sikorski, der den russischen Einmarsch in der Ukraine als "Aggression" und als die ernsthafteste Sicherheitskrise in Jahrzehnten bezeichnete.

Österreichs Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hat die Situation in der Ukraine als "brandgefährlich" bezeichnet. Klar sei, dass Russland die "Souveränität" sowie "territoriale Integrität" der Ukraine respektieren müsse, sagte ein Sprecher gegenüber der Austria Presse Agentur. Kurz habe bereits beide Seiten - seinen ukrainischen Amtskollegen Pawel Klimkin sowie den russischen Botschafter in Wien, Sergej Netschajew, kontaktiert. Mit Netschajew soll der Minister noch am Nachmittag telefonieren. Auch mit der Botschaft in Kiew sowie mit den EU-Partnern, insbesondere Deutschland, und mit internationalen Organisationen wie der OSZE stehe man im ständigen Austausch.

Poroschenko kommt an diesem Samstag im Zusammenhang mit dem EU-Gipfel nach Brüssel. Poroschenko werde EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy bereits Samstagfrüh treffen, hieß es am Donnerstag aus der Umgebung des EU-Gipfelchefs in Brüssel.

Konflikt in der Ukraine
Konflikt in der Ukraine(c) APA

(APA/Reuters/dpa/AFP)

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