Protest bei Erdoğans Inthronisierung

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Der neue Präsident will rasch geplante Verfassungsänderungen durchsetzen. Die Opposition befürchtet, dass sich die Türkei nun zu einem autokratischen Staat entwickelt.

Istanbul. In der Türkei hat am Donnerstag die Präsidentschaft von Recep Tayyip Erdoğan begonnen – begleitet von Salutschüssen und Ehrengarde, aber auch von bitterem politischen Streit. Noch bevor Erdoğan im Parlament von Ankara seinen Amtseid als zwölfter Staatspräsident der Türkei ablegte, gab es wütende Proteste der Opposition. Erdoğan-Gegner schleuderten ein Buch mit der Parlamentsgeschäftsordnung und der Verfassung in Richtung des Sitzungspräsidenten.

Als erster direkt gewählter Präsident der Türkei will Erdoğan so rasch wie möglich sein Projekt einer „neuen Türkei“ verwirklichen. Im Mittelpunkt stehen geplante Verfassungsänderungen zur Verankerung eines Präsidialsystems. Der frisch gewählte Chef der Regierungspartei AKP und designierte neue Ministerpräsident, Ahmet Davutoğlu, will schon heute seine Regierung vorstellen. Laut Presseberichten werden Erdoğan-Loyalisten im Kabinett darauf achten, dass Davutoğlu auf der Linie des Präsidenten bleibt.

In seinem Amtseid verpflichtete sich Erdoğan unter anderem, für den Rechtsstaat, die Menschenrechte, den Laizismus und die Demokratie einzustehen und sich als Präsident unparteiisch zu verhalten. Kritiker befürchten jedoch, dass sich die Türkei unter dem Präsidenten zu einem autokratischen Staat entwickelt. Ein Reporter einer regierungskritischen Zeitung berichtete auf Twitter, er habe ab sofort keinen Zutritt zum Präsidentenpalast mehr.

Interessenvertreter der AKP

Schon vor seinem Amtsantritt hatte Erdoğan klargestellt, dass er trotz des Neutralitätsgebots der Verfassung weiter die Interessen seiner Regierungspartei AKP vertreten will. In seiner Rede zum Abschied vom AKP-Vorsitz, den er laut Verfassung zusammen mit dem Amt des Ministerpräsidenten aufgeben musste, attackierte er am Mittwoch zudem die Opposition in gewohnt scharfen Worten. Die Abgeordneten der größten Oppositionspartei im Land, der säkularen CHP, wollten die Vereidigung mit einer Geschäftsordnungsdebatte verzögern, was von Parlamentspräsident Cemil Çiçek abgelehnt wurde. Wütend verließen die CHP-Politiker daraufhin noch vor der Vereidigung das Plenum.

Davutoğlu „Marionette“

Noch am Abend wollte Erdoğan seinen Gefolgsmann Davutoğlu mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragen. Laut Medienberichten wird das Kabinett den Stempel Erdoğans tragen. So gilt es als sicher, dass sein Chefberater Yalçin Akdoğan einen Posten erhalten und gewissermaßen als Abgesandter des Präsidenten in der Ministerrunde fungieren wird. „Davutoğlu wird Erdoğans Soldat sein“, schrieb der regierungskritische Journalist Hasan Cemal in einem Beitrag für das Internetportal T24. Nationalistenchef Devlet Bahçeli nannte Davutoğlu verächtlich eine „Marionette“. Die Frage nach dem neuen türkischen Außenminister blieb am Donnerstag noch offen. Medienberichten zufolge hat Europaminister Mevlüt Çavuşoğlu die besten Chancen auf den Posten.

Aus Erdoğans Sicht liegt Davutoğlus wichtigste Aufgabe in der Vorbereitung des Parlamentswahlkampfs im kommenden Jahr. Dann wird sich zeigen, ob Davutoğlu als AKP-Chef und Ministerpräsident die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen kann. Er soll dafür sorgen, dass die AKP im neuen Parlament mindestens 330 Mandate hat, damit sie per Volksabstimmung die geplanten Verfassungsänderungen durchsetzen kann. Das ist eine schwere Mission für den neuen Premier und Parteichef.

Ohne Erdoğan, der sich als Präsident nicht am Wahlkampf beteiligen darf, dürfte die Attraktivität der AKP sinken. Selbst mit dem Traumergebnis von fast 50 Prozent bei der Wahl 2011 kam die AKP nur auf 327 Mandate. Laut Umfragen liegt die Partei zwischen 45 und 47 Prozent. Das ist mehr als die politische Konkurrenz – aber nicht genug für Verfassungsänderungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2014)

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