Erdoğan zieht auch in neuer türkischer Regierung die Fäden

Turkey s new President Recep Tayyip Erdogan takes oath of office at the parliament in Ankara Turkey
Turkey s new President Recep Tayyip Erdogan takes oath of office at the parliament in Ankara Turkey(c) imago/Seskim Photo (imago stock&people)
  • Drucken

Der bisherige EU-Minister Mevlüt Çavuşoğlu erhält das Außenressort. Premier Davutoğlu zeigt keine eigene Handschrift.

Istanbul. Eine neue Regierung, aber keine radikalen Veränderungen – der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu hat am Freitag ein Kabinett vorgestellt, das die Handschrift von Präsident und Ex-Premier Recep Tayyip Erdoğan trägt. Vor allem mit Blick auf die Parlamentswahl im kommenden Jahr lassen sich aus den Personalentscheidungen zwei Hauptaufgaben für die Regierungsmannschaft herauslesen: Sie soll größere Turbulenzen in der schwächelnden Wirtschaft verhindern und den Kurdenkonflikt rechtzeitig vor dem Urnengang beenden. Eigene Akzente Davutoğlus bleiben aus. Mehrere wichtige Posten werden mit Erdoğan-Vertrauten besetzt.

Neuer Außenminister und damit Nachfolger Davutoğlus wird der bisherige Europaminister Mevlüt Çavuşoğlu, ein ehemaliger Vorsitzender der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Der 46-jährige sitzt seit dem Jahr 2002 im Parlament und gilt als Vertrauter Erdoğans. Neuer Europaminister wird Volkan Bozkir, ein ehemaliger Diplomat und EU-Spezialist.

Ein Signal sehen Beobachter in der Ernennung der Minister aber nicht. So muss Çavuşoğlu wegen einer internen Vorschrift der Regierungspartei AKP im kommenden Jahr aus dem Parlament ausscheiden. Es ist also unwahrscheinlich, dass er lange in seinem neuen Amt bleiben wird.

Die neuen Minister stünden keinesfalls für einen Aufbruch in den festgefahrenen EU-Beitrittsverhandlungen, sagt Cengiz Aktar, Europaexperte am Istanbul Policy Centre der privaten Sabanci-Universität. Wichtig sei vor allem die Richtungsvorgabe durch Präsident Erdoğan. „Die EU-Politik gehört nicht zu Erdoğans Prioritäten“, so Aktar. Auch andere Beobachter werten die Besetzung des neuen Kabinetts als Zeichen dafür, dass Erdoğan bei seiner bisherigen Politik bleiben will. Bei mehr als zwei Dutzend Ministerposten werden lediglich vier neue Politiker ins Kabinett genommen. Zwei davon, die neuen Vize-Ministerpräsidenten Numan Kurtulmuş und Yalçin Akdoğan, sind enge Berater von Präsident Erdoğan.

Präsidialsystem im nächsten Jahr

Akdoğan, der bisherige Chefberater des Präsidenten, soll als Vizepremier die Verantwortung für den Friedensprozess mit den Kurden übernehmen. Erdoğan lässt seit Ende 2012 mit dem inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan über eine Beendigung des seit 30 Jahren anhaltenden Kurdenkonfliktes verhandeln. Akdoğans Ernennung zeigt auch auf, dass Erdoğan den Friedensprozess noch vor den Wahlen im Juni kommenden Jahres mit einer endgültigen Entwaffnung der PKK abschließen will.

Erdoğan und Davutoğlu belassen die für die Wirtschaft zuständigen Minister im Amt. Besonders der Verbleib des bei Investoren als Garant der Stabilität beliebten Vizepremiers Ali Babacan gilt als Zeichen an die Märkte. In jüngster Zeit hatte es in der türkischen Wirtschaft Alarmzeichen wie ein Rückgang des Wachstums sowie des Konsums gegeben.

Die Erfolge in der Wirtschaftspolitik bilden die Grundlage von Erdoğans Wahlerfolgen in den vergangenen Jahren. Bei der Parlamentswahl im kommenden Jahr strebt die AKP einen neuen Wahlsieg an, um anschließend per Verfassungsänderung ein Präsidialsystem zu errichten. Auch ohne Verfassungsänderung will Präsident Erdoğan trotz des derzeitigen Neutralitätsgebotes die Fäden in der Regierung und in der AKP in der Hand halten. (güs)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.