Moussa: „Demokratie ist die Lösung für Nahost“

EGYPT PANEL TO REVISE CONSTITUTION MEETING
EGYPT PANEL TO REVISE CONSTITUTION MEETING(c) EPA (KHALED ELFIQI)
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Amr Moussa, Ex-Generalsekretär der Arabischen Liga, über die „gewaltige Umbruchphase“ in Nahost, den Vormarsch der IS, den drohenden Zerfall Libyens – und das Scheitern der Moslembrüder in seiner ägyptischen Heimat.

Die Presse: Warum verlassen sich die arabischen Staaten darauf, dass die USA die IS-Extremisten im Irak stoppen? Das wäre doch Aufgabe der Araber.

Amr Moussa: Absolut. Die arabische Welt wendet sich, mit sehr wenigen Ausnahmen, geschlossen gegen die Grausamkeit dieser Organisation. Wir müssen uns der Herausforderung stellen, brauchen aber Hilfe. Was hat uns so weit gebracht? Wir sehen die Folgen einer schlechten Politik der USA und des Iran, die ethnisch-religiöse Spannungen im Irak gefördert haben.

Wer IS bekämpfen will, muss das auch in Syrien tun. Braucht man Syriens Präsident Assad dazu?

Nein, wir müssen den Terror bekämpfen. Aber Syrien kann nach all den Massakern nicht dahin zurück, wo es vor drei Jahren gestanden ist.

Lösen sich die Grenzen auf, die Sykes und Picot 1916 im Nahen Osten gezogen haben?

Das liegt in der Verantwortung der einzelnen arabischen Staaten, von außen kann niemand mehr Grenzen oktroyieren. Aber es wäre eine sinistre Idee, die Grenzen im Irak zu verändern oder den Irak in einen schiitischen, sunnitischen und kurdischen Staat aufzuteilen.

Noch nie sind in so kurzer Zeit so viele Staaten gescheitert wie derzeit im Nahen Osten. Warum?

Weil sie schlecht regiert sind und die Regierungen versagt haben. Deswegen gab es Revolutionen in Tunesien, Ägypten, Syrien, im Jemen. Der Nahe Osten durchlebt eine gewaltige Umbruchphase.

Jetzt ist die Restaurationsphase angebrochen, wie etwa in Ägypten. Wie kann man dem Chaos in Nahost beikommen?

Demokratie ist die Lösung.

Das hat man in Gaza und Ägypten auch gedacht.

In Ägypten ist es Demokratie. Wir schrieben eine Verfassung, hatten ein Referendum über die Verfassung und wählten einen Präsidenten. Der Prozess verlief friedlich, alles ohne Gewalt.

Allein beim Massaker in Rabaa Adawiyya haben Sicherheitskräfte laut Human Rights Watch mehr als 800 Moslembrüder getötet.

An diesem Bericht gibt es viel auszusetzen. Er ist ungenau. Ja, es gab blutige Demonstrationen von Moslembrüdern. Aber keine Regierung kann akzeptieren, dass das öffentliche Leben lahmgelegt wird.

Denken Sie, dass ein Staat gut regiert wird, wenn er eine Oppositionsbewegung wie die Moslembrüder unterdrückt?

Es entspricht guter Regierungsführung, die Sicherheit in einer Gesellschaft aufrechtzuerhalten.

Die Moslembrüder wurden immerhin demokratisch gewählt.

Mursi war demokratisch gewählt, aber der schlechteste ägyptische Herrscher aller Zeiten. Deshalb musste er gehen. Millionen haben gegen ihn demonstriert.

Fürchten Sie nicht, dass einige Moslembrüder in den Untergrund gehen und eine Unruhewelle auf Ägypten zurollt?

Wenn sie in den Untergrund gehen, dann ist es die Aufgabe der Regierung, sie zu bekämpfen.

Verändert ein Atomdeal mit dem Iran die Dynamik in der Region?

Ein Abkommen mit dem Iran könnte den Weg für eine atomwaffenfreie Zone ebnen. Es sollte keine Atomwaffen im Nahen Osten geben, auch nicht Israel. Warum sollten wir die iranischen Atomwaffen ansprechen, aber nicht die israelischen? Ohne atomwaffenfreie Zone kann es keine Sicherheit geben.

PLO-Chef Abbas will angeblich die UNO auffordern, einen Zeitplan für die Errichtung eines Palästinenserstaats festzulegen...

Was kann er sonst tun? Abbas hat keine andere Option.

Hat der neueste Gaza-Krieg Abbas geschwächt oder gestärkt?

Das ist nicht die Frage. Der Versöhnungsprozess zwischen Hamas und Fatah wird aber gefestigt. Die Hamas muss sich auf die Lösung der Palästinenserfrage konzentrieren.

Israel will nicht mit der Hamas reden, solang sie die Zerstörung Israels als Ziel aufrechterhält.

Und Hamas will nicht mit Israel reden. Aber es gibt einen Repräsentanten der Palästinenser, der verhandeln will, und das ist Abbas. Die Israelis sollten mit ihm reden.

Sie unterstützen die palästinensische Einheitsregierung. Seltsam: Die Hamas kommt doch auch aus der Familie der Moslembrüder.

Ja, aber in Ägypten sind wir mit den Moslembrüdern fertig geworden.

Haben Sie Hoffnung, dass es zu einem Frieden mit Israels Premier Netanjahu kommen kann?

Netanjahu sollte einsehen, dass er sich ändern muss und nicht weiter eine rigide Politik in einer Region betreiben kann, die sich derart schnell bewegt.

Das kann man auch anders sehen: Israel zählt mit dem Iran und Saudiarabien zu den stabilsten Staaten der Region.

Auch Ägypten ist auf dem Weg zu Stabilität. Aber Stabilität heißt nicht Rigidität und Stillstand.

Ägyptische Flugzeuge griffen Ziele in Libyen an, um die Miliz von General Haftar zu unterstützen.

Das stimmt nicht. Ägyptens Präsident hat es öffentlich klargestellt.

Wie gefährlich ist der Zerfall Libyens für Ägypten?

Es ist sehr wichtig, dass die arabischen und afrikanischen Nachbarstaaten sich zusammengetan haben, um das Libyen-Problem politisch zu lösen. Wir sollten in Libyen nicht militärisch intervenieren, sondern den Libyern helfen, ihr Land zu stabilisieren.

War es am Ende eine schlechte Idee, Gaddafi zu stürzen?

Das haben die Libyer getan, so wie die Tunesier Ben Ali und die Ägypter Mubarak gestürzt haben.

Die Frage der Stabilität stellt sich heute anders als vor drei Jahren.

In der Tat. Ich glaube aber, Libyen wird nicht mehr lang instabil sein.

Es gibt Gerüchte, dass Sie bald eine Rolle in der ägyptischen Regierung übernehmen könnten, als Premier oder Außenminister.

Nicht notwendigerweise. Ich bin ein aktiver Politiker und ehemaliger Diplomat. Das ist alles.

ZUR PERSON

Amr Moussa war von 1991 bis 2001 Außenminister Ägyptens und von 2001 bis 2011 Generalsekretär der Arabischen Liga. Seit September 2012 führt er die Konferenzpartei an. Momentan ist der 77-Jährige als Premier oder Außenminister im Gespräch. Diese Woche nahm Moussa in Salzburg an der Konferenz „1814, 1914, 2014“ teil, die das International Peace Institute und das Salzburg Global Seminar veranstalteten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2014)

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