Ein erstes Halbjahr der Rekorde: der höchste Überschuss seit der Wende, das erste Haushaltsplus im Bund seit 1991. Doch statt Bewunderung erntet Berlin Kritik.
Berlin. Es könnte auch für nüchterne Norddeutsche ein Anlass zum Jubeln sein: Im ersten Halbjahr 2014 erzielte der deutsche Gesamtstaat einen Rekordüberschuss von 16,1 Mrd. Euro oder 1,1 Prozent der Wirtschaftsleistung – mehr als jemals zuvor seit der Wiedervereinigung. Mehr noch: Erstmals seit 1991 kann auch der Bund für sich genommen mit einem Plus von vier Milliarden aufwarten. In den beiden Jahren zuvor sorgten Länder, Kommunen und Sozialkassen dafür, dass der deutsche Staat ohne neue Schulden auskommen konnte, jetzt leistet auch die „Zentrale“ ihren Beitrag.
Was sind die Gründe für diesen Erfolg? Die Zinsen auf die Schulden sind historisch niedrig, es gibt immer mehr Beschäftigte und die Bundesbank steuert einen besonders hohen Gewinn bei. Die anderen Euroländer können von solchen Verhältnissen nur träumen: Laut Prognose der EU-Kommission werden sie heuer alle Defizite einfahren.
Allerdings trüben sich die Konjunkturaussichten auch in Deutschland ein. Selbst eine Rezession – also zwei rückläufige Quartale in Folge – sind nicht ausgeschlossen. Hauptgrund dafür dürften die internationalen Krisen sein. Vor allem der drohende Handelskrieg mit Russland sorgt für Unsicherheit. Aber auch wenn sich das glorreiche erste Halbjahr nicht einfach hochrechnen lässt: Der Überschuss wird bleiben.
Ärger über Draghi
Angela Merkel stellte klar: „Wenn wir mehr Geld haben, stecken wir es im Zweifelsfall in mehr Investitionen“ – vor allem in die Infrastruktur: Straßensanierung, Breitbandinternet und Stromnetze zur Bewältigung der Energiewende. Damit will die Kanzlerin auch der Kritik von Ökonomen, dass die öffentliche Hand zu wenig investiere, den Wind aus den Segeln nehmen.
Nicht nur in Deutschland, in der ganzen Eurozone mangle es an staatlichen Investitionen: Das hat sich nicht nur der Internationale Währungsfonds zu seinem „ceterum censeo“ gemacht. Auch EZB-Präsident Mario Draghi stieß vor Kurzem bei dem Notenbankertreffen im amerikanischen Jackson Hole ins selbe Horn: Er ermutigte die Regierungen der Eurozone zu „unterstützender Fiskalpolitik“ zur wirtschaftlichen Belebung – also offenbar zu Wachstum auf Pump.
Hinter den Mahnungen steckt zweierlei: Die deutschen Überschüsse wecken Begehrlichkeiten. Europas größte Wirtschaftsmacht soll rasch mehr ausgeben, um noch stärker als Konjunkturlokomotive des Währungsraumes zu dienen – möglicherweise auf Kosten der Nachhaltigkeit. Zum anderen aber haben sich Frankreich und Italien wieder einmal auf die deutsche Sparpolitik eingeschossen. Draghi liefert Schützenhilfe in ihrem Ansinnen, die Regeln des europäischen Stabilitätspakts noch großzügiger auszulegen.
Das hat in Berlin zu arger Verstimmung geführt. Merkel griff sogar zum Telefonhörer, rief Draghi an und stellte ihn zur Rede. Ein höchst seltener Akt – hat sich doch gerade Deutschland die strenge Unabhängigkeit der Zentralbank zur Staatsräson gemacht. (gau)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2014)