Nahost: "Gazakrieg öffnet Zeitfenster für Frieden"

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Terje Roed-Larsen, Architekt des Oslo-Abkommens, stellt einen Friedensplan für Gaza vor. Die Eckpunkte: Entwaffnung der Hamas, Öffnung der Grenzen und UN-Beobachter.

Die Presse: Seit einer Woche schweigen die Waffen, doch wie kann es weitergehen in Gaza?

Terje Roed-Larsen: Erstes Szenario: Gaza versinkt in Chaos und Anarchie. Das führt unweigerlich zu Attacken gegen Israel und entfacht den Konflikt neu. Das kann in zwei Wochen oder zwei Jahren passieren und das Volk in Gaza leidet weiter. Zweites Szenario: Die Hamas festigt ihre Macht; dann wird es auch einen neuen Krieg geben. Drittes Szenario: Die Autonomiebehörde übernimmt die Macht in Gaza – sehr unwahrscheinlich.

Dafür fehlen der Fatah die Mittel.

Genau, und damit komme ich zum vierten Szenario: zur Errichtung einer internationalen Übergangspräsenz in Gaza – als Brücke, bis Wahlen abgehalten werden und die palästinensische Autonomiebehörde die Regierungsgeschäfte in Gaza übernimmt.

Sie wollen eine UN-Verwaltung Gazas?

Auf Basis eines Abkommens mit Israel. Der Inhalt: Erstens gibt Hamas die Waffen ab und löst die Milizen auf, die leichte Waffen für Polizeiaufgaben behalten dürfen. Zweitens: Öffnung der Grenzen. Drittens: internationale Überwachung der Grenzen. Wir aktivieren die UNTSO, die ihr Hauptquartier in Jerusalem und Beobachter auf den Golanhöhen sowie im Südlibanon hat und bis 1996 auch in Gaza hatte. Die Militärbeobachter kehren unter dem Schirm ihres UN-Mandats nach Gaza zurück und kontrollieren dann mit Ägypten und Israel die Grenzübergänge.

Israel vertraut der UNO nicht.

Wir müssen Israel überzeugen. Die Karotte für Israel ist die Entwaffnung der Hamas-Milizen. Dafür wird es einen Preis zahlen.

Wer soll die Hamas entwaffnen?

Das muss die Hamas selbst tun, unter Aufsicht der UN-Beobachter.

Warum sollte die Hamas das tun?

Weil sonst die Grenzen geschlossen bleiben. Die Hamas stand vor dem Krieg mit dem Rücken zur Wand. Sie waren im Gazastreifen auf Zustimmungsraten von 20 Prozent abgestürzt. Und sie hatten kein Geld mehr, um ihre Angestellten zu bezahlen, nicht einmal ihre Sicherheitskräfte. Zweites Standbein einer internationalen Präsenz in Gaza wäre die Wiederbelebung des in den Neunzigerjahren geschaffenen Local Aid Coordination Committee, das mithilfe der Weltbank, der UNO und Geberstaaten Regierungsfunktionen in Gaza aufbaut.

Für Israel ist es eine Frage der Sicherheit, Grenzen nach Gaza zu öffnen.

Für Ägypten auch. Die Hamas ist ein Teil der Muslimbruderschaft, der Erzfeind der Regierung in Kairo. Die Ägypter betrachten die Hamas durch dieselbe Linse wie die Israelis.

Glauben Sie, dass sich eine Organisation mit der Ideologie der Hamas ändern kann?

Alle von uns öffnen ihre Herzen und strecken ihre Hand zu den armen Menschen in Gaza aus, aber wir haben wenig Grund, auch mit dem Regime in Gaza so zu verfahren. Die Charta der Hamas ist kristallklar: Es wird darin nicht nur zur Zerstörung Israels aufgerufen, sondern zum Tod aller Juden. Die Charta ist total rassistisch und verwendet dieselben Referenzen wie Hitlers Ideologe Alfred Rosenberg. Die Hamas muss ihre Charta ändern. Aber Taten sind wichtiger als Worte. Leider entsprachen die Aktionen der Hamas zuletzt ihrer Charta und nicht dem von ihr unterzeichneten Abkommen zur palästinensischen Einheitsregierung, das darauf basiert, alle Abkommen mit Israel zu akzeptieren und mithin keine Gewalt anzuwenden.

Ist es eine gute Idee von PLO-Chef Abbas, in der UNO eine Zeitplan für einen Palästinenserstaat zu verlangen?

Ein solcher Zeitplan wird irrelevant sein, ebenso wie UN-Erklärungen. Die Zweistaatenlösung liegt auf dem Tisch. Es ist eine Frage des Willens, sie umzusetzen. Der dritte Gazakrieg öffnet ein Zeitfenster für den Frieden.

Viele zweifeln den Friedenswillen der jetzigen Regierung Israels an.

In der Diplomatie geht es darum, Streitparteien in die richtige Richtung zu zu bewegen.

Was halten Sie von einem gemeinsamen Staat für Israelis und Palästinenser?

Die Einstaatenlösung ist eine wunderbare Idee, aber unrealistisch und deshalb dumm. Keine israelische Regierung wird ihr angesichts des palästinensischen Bevölkerungswachstums zustimmen, denn sie bedeutet das Ende Israels als jüdischer Staat: Auch eine Nichtstaatenlösung (komplette Besetzung Gazas und der Westbank) ist für Israel nicht haltbar, ebenso wenig wie eine jordanische Option (Palästinensergebiete gehen zurück an Jordanien) für Amman. Die Zweistaatenlösung für tot zu erklären, ist ziemlich lächerlich, denn sie ist die einzige Lösung.

ZUR PERSON


Terje Roed-Larsen
(geb. 1947) war als Berater des norwegischen Außenministeriums 1993 maßgeblich am Zustandekommen des Osloer Friedensabkommens beteiligt. Er war danach UN-Sonderkoordinator für die Palästinenser. Seit 2005 ist er Präsident des International Peace Institute. [ EPA]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2014)

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