„Mehr Schiffe, mehr Soldaten“: Nato will abschrecken

(c) Reuters (LARRY DOWNING)
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Nato-Generalsekretär Rasmussen spricht offen vom Angriff Russlands auf Ukraine. Nun wird das Baltikum aufgerüstet. Österreich überlegt Ukraine-Einsatz.

Newport. Über Newport steigen Kampfjets und Hubschrauber auf. „Drive carefully! Nato Air Exercise“ werden Autofahrer gewarnt. Kurz vor der walisischen Stadt erhebt sich ein Hügel. Er ist nun eine Festung. Einen drei Meter hohen Eisenzaun haben sie um das Areal gezogen, dass das Golfesort Celtic Manor beherbergt. Auf dem Grün tummeln sich statt Golfspielern nun schwer bewaffnete Polizisten – und in den Klubhäusern wird nicht über Handicaps, sondern über die schwerste Krise in Europa seit dem Ende des Kalten Kriegs debattiert. Der zweitägige Nato-Gipfel im Celtic Manor ist für die Staats- und Regierungschefs der Allianz seit der ersten Minute ein Drahtseilakt. Die Nato will Abschreckung und Geschlossenheit demonstrieren. Ohne Russland zu provozieren. Ohne eine neue Eskalationsspirale auszulösen.

Mit Symbolik aufgeladen

Es geht hier viel um Tonalität, um Symbolik: Deshalb warnt die deutsche Verteidigungsministerin, Ursula von der Leyen, davor, die Nato/Russland-Gründungsakte in den Geschichtsbüchern verschwinden zu  lassen, wie sich das die östlichen Mitgliedsländer wünschen. Und deshalb ist auch der ukrainische Präsident, Petro Poroschenko, zu Gast.

Tatsächlich kann die Allianz der Regierung in Kiew kaum helfen, wie es hier heißt. „Die Realität ist: Die Ukraine ist nur Partner. Und kein Nato-Mitglied“, sagt ein Nato-Offizieller. Also kein Bündnisfall nach dem berühmt-berüchtigten Artikel 5, der Nato-Mitgliedern kollektiven Beistand sichert. Natürlich wird Poroschenko nicht mit leeren Händen nach Hause fahren. Die Nato wird vier Fonds für den Krisenstaat auflegen. 15 Millionen Euro für Kommandostrukturen, Logistik, Cyber-Abwehr und Kommunikation stellen die Mitglieder auf. Alles Maßnahmen, die langfristig zu einer Modernisierung der Streitkräfte führen werden. „Aber nichts, wodurch die Ukraine morgen Russland bezwingen könnte“, wie es ein Nato-Offizieller gegenüber der „Presse“ pointiert formuliert.

Doch einzelne Nato-Mitgliedsländer werden künftig Waffen liefern. Das kündigte Poroschenko am Donnerstagabend an, ohne Details zu nennen. Dem Vernehmen nach soll er am Rande des Gipfels erklärt haben, entsprechende Gesuche nicht auszuschlagen. Auch die USA erwägen schon länger, Waffen an die Ukraine zu liefern. Generkalsekretär Anders Fogh Rasmussen sprach von einem „dramatisch veränderten Sicherheitsumfeld“. Der neue Krieg in Europa, er macht vor allem an der Ostflanke der Allianz Angst.  Die Antwort, die hier viele geben, heißt: Präsenz. „Mehr Schiffe im Meer, mehr Flugzeuge in der Luft, mehr Soldaten auf dem Boden“, sagte etwa Estlands Regierungschef Taavi Rõivas am Rande des Gipfel. „Wenn du eine Krise verhindern willst, dann zeige, dass du dafür bereit bist“, erklärte auch Nato-Oberbefehlshaber Philip Breedlove.

Der Readiness-Action-Plan soll deshalb mehr als eine Beruhigungspille sein. Wie berichtet, wird die Nato Response Force um eine schnelle Eingreiftruppe in Brigadenstärke erweitert. Rund 500 Staaten sollen in Polen, dem Baltikum und Rumänien stationiert werden, als Andockstelle für die neue Brigade im Ernstfall.
Auch Militär-Infrastruktur im Baltikum, Polen und Rumänien könnte überholt werden: „Man wird sich ansehen müssen, ob etwa die Landebahnen für bestimmte Transportmaschinen lang genug, die Häfen groß genug sind“, sagt ein Nato-Vertreter.

Obama sucht Verbündete gegen IS

Im Schatten der Ukraine-Krise versuchte US-Präsident Barack Obama in Wales auch, eine internationale Allianz gegen die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ zu schmieden. Der enge Verbündete Großbritannien erwägt mittlerweile offen Luftschläge gegen IS – knüpft diese Aktionen jedoch an eine Anfrage der irakischen Regierung und das Plazet der Regionalmächte.  Den Fehler eines Militäreinsatzes ohne regionale Unterstützung habe man in der Vergangenheit bereits gemacht, erklärte der britische Regierungschef David Cameron. Entschieden ist aber bereits, dass London Waffen an die Kurden im Nordirak liefern wird.

Der größte Programmpunkt des Gipfels rückte unterdessen in den Hintergrund: das Ende des Kampfeinsatzes in Afghanistan am 31. Dezember 2014. Viel Neues gab es an dieser Front ohnehin nicht: Nach der Präsidentenwahl liefern einander die Präsidentschaftskandidaten Abdullah Abdullah und Ashraf Ghani weiterhin einen Machtkampf um das Land. Es fehlt ein Staatschef, der die Abkommen unterzeichnen könnte. „Und ohne Unterschrift keine Mission“, sagte Rasmussen.

Österreich und die Nato

Zugleich wird die Nato auch ihre Zusammenarbeit mit ihren Partnerländern vertiefen. In Georgien kündigt Rasmussen Übungen an, Schweden und Finnland werden ihre Partnerschaft vertiefen, Nato-Übungen auf ihrem Territorium zulassen. Auch in der Ostsee dürfte es künftig mehr Manöver geben. Österreich hat einer Vertiefung der Nato-Partnerschaft vorerst abgewunken.

Verteidigungsminister Gerald Klug schließt aber eine österreichische Beteiligung an einer internationalen Überwachung eines möglichen Waffenstillstands in der Ostukraine nicht aus. In einem Interview mit der "Wiener Zeitung" (Freitagausgabe) am Rande des Gipfels in Wales sagte Klug weiters, die jüngste Entwicklung im Ukraine-Konflikt stimme ihn "zuversichtlich".

Das Bundesheer könnte aber auch rund zehn Mann im Raum Kabul stationieren. Vorerst hängt die Nachfolgemission in Afghanistan aber in der Schwebe: Wegen des Machtkampfs in Afghanistan gibt es noch immer keinen Präsidenten, der ein Nachfolgeabkommen mit den USA und der Nato unterzeichnen könnte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2014)

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