Armenien: "Europa im Blick, Putin im Nacken"

AM KURZ IN ARMENIEN: KURZ / NALBANDIAN
AM KURZ IN ARMENIEN: KURZ / NALBANDIAN(c) APA/AUSSENMINISTERIUM/DRAGAN TAT (DRAGAN TATIC)
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Armenien will der von Russland geführten Zollunion beitreten. Doch der Kontakt zur EU soll nicht abreißen. Außenminister Kurz tritt zum Auftakt seiner Kaukasus-Reise in Jerewan für ein flexibleres Integrationsmodell ein.

Jerewan. Schon am Vormittag schließt sich die Hitzeglocke über der armenischen Hauptstadt. Fußgänger suchen Unterschlupf im Schatten der Bäume, die Klimaanlagen laufen auf Hochtouren. Die Schneespitze des Ararat ist kaum sichtbar im beigeblauen Dunst, der über dem steinigen Plateau liegt.

Klare Konturen waren auch bis vor Kurzem in der außenpolitischen Orientierung des Binnenlandes im Südkaukasus nicht erkennbar. Jerewan hielt die Waage, verschrieb sich einer sanften Westintegration und förderte die traditionell engen Beziehungen zu Russland. Bis vor genau einem Jahr, im vergangenen September, Staatspräsident Sersch Sargsjan mit einer Ankündigung überraschte: Armenien trete der von Russland geführten Zollunion bei, einem Konkurrenzprojekt zur Europäischen Union. Die Ambitionen auf Abschluss eines Assoziierungsabkommens, das das Land im Rahmen der Östlichen Partnerschaft näher an die EU heranführen sollte, wurden plötzlich hintangestellt.

Russischem Druck nicht standgehalten

Es war also das sandsteinfarbene Jerewan, aus dem der erste Vorbote der derzeitigen Zerreißprobe zwischen Russland und dem Westen kam. Die Südkaukasusrepublik spürte bereits im Vorjahr das erste Knarren im Gebälk seines Staatswesens: Russland drohte mit höheren Energiepreisen, schloss einen Waffendeal mit dem Kriegsgegner Aserbaidschan. Jerewan hielt nicht wie Georgien stand. Es gab sich geschlagen.

„Europa im Blick, Putin im Nacken“, so beschreibt Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) die bedrängte Lage des drei Millionen Einwohner zählenden Landes, das keine direkte Grenze mit Russland hat, dafür aber von ihm leidlich wohlgesonnenen Nachbarn, der Türkei und Aserbaidschan, umgeben ist. Seine fünftägige Kaukasus-Visite, die am gestrigen Montag in Jerewan begann, sollte auch eine europäische Reaktion in die armenische Hauptstadt tragen. Es ist freilich eine schwache: Brüssel will dem Land weiter seine Unterstützung versichern, allerdings fehlt nun – ohne politisches und wirtschaftliches Abkommen – das strategische Ziel.

Weitere Anliegen der Visite des Außenministers sind Entwicklungspartnerschaft und Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen. Als „sehr, sehr ausbaufähig“ bezeichnete der Vizepräsident der Wirtschaftskammer, Richard Schenz, die Handelsbeziehungen zwischen Österreich und Armenien. Dass die zwei Dutzend mitgereisten Wirtschaftsvertreter mehr nach Aserbaidschan und Georgien schielen, verhehlte er nicht.

In Sachen Entwicklungszusammenarbeit ist Armenien wie sein Nachbar Georgien ein Schwerpunktland Österreichs. Zur Intensivierung der Präsenz wurde am Montag ein Kooperationsbüro der Austrian Development Agency in Jerewan eröffnet; es soll die Arbeit des bisher schon in Tiflis bestehenden Büros ergänzen.

In der postsowjetischen Zwischenwelt

Derzeit teilen sich die Länder der postsowjetischen Zwischenwelt in zwei Lager: Da sind die Ukraine, Georgien und die Republik Moldau, die sich für einen Westkurs entschlossen haben, und nun bange der nächsten Signale aus Moskau harren. Und da sind Kasachstan und Weißrussland, die sich der ökonomischen Integration mit der von Russland geführten Zollunion verschrieben haben, die schon bald zur Eurasischen Union wachsen soll. Die Verhandlungen liefen „normal“, sagte der armenische Außenminister, Edward Nalbandjan, bei einer Pressekonferenz am Montag. „Bald“ würden „konkrete Ergebnisse“ erzielt. De facto erweist sich aber das von Armenien besetzte Gebiet Berg-Karabach als Hindernis für einen schnellen Beitritt. Und auch Moskau scheint es nun, da es Jerewan auf seiner Seite weiß, nicht mehr so eilig zu haben.

Die armenische Wahl gründet freilich auf realen Kräfteverhältnissen: Die EU ist weit weg von dem Binnenland. Eingezwängt zwischen Türkei und Aserbaidschan ist Russland seine traditionelle Schutzmacht und sein Verbündeter. Das Land ist vollkommen abhängig von russischen Energielieferungen. Das in Aussicht gestellte EU-Abkommen erwies sich als zu schwach, als zu wenig konkret und machtvoll, um dem Druck aus Moskau standzuhalten. Dabei war die Ostpartnerschaft 2009 als Reaktion auf den Georgien-Krieg gegründet worden, um den Staaten zwischen EU und Russland eine Anbindung an die politischen und wirtschaftlichen Ziele der EU zu geben, wenn auch kein Mitgliedsversprechen.

Kurz will aus EU-Fehlern lernen

Kurz zieht erste Lehren aus der derzeitigen Krise, die den postsowjetischen Raum in zwei Lager spaltet. Er kritisiert, dass diese Länder in eine „Entweder-oder-Position gedrängt“ würden, wenn die EU und Russland sie vor die Wahl stellten. „Armenien ist ein Beispiel, wo diese Wahl das Land eher zurückwirft als vorwärts bringt.“ Die Konsequenz, laut Kurz: Künftige Integrationsangebote im Rahmen der Östlichen Partnerschaft sollten „flexibler“ gestaltet werden, man müsse ein „Sowohl-als-Auch“ zulassen. Eine Reformaufgabe für die neue EU-Kommission. Außenminister Nalbandjan erklärte, dass sein Land weiter mit der EU zusammenarbeiten wolle: „Wir werden unsere Arbeit fortsetzen.“ Wie genau, das verschwimmt derzeit noch im Dunst Jerewans.

AUF EINEN BLICK

Außenminister Sebastian Kurz begann am Montag eine fünftägige Kaukasus-Reise. Erste Station war Armenien. Kurz sprach in Jerewan mit seinem Amtskollegen Edward Nalbandian. In Georgien trifft er am Mittwoch Chefdiplomatin Maja Pandschikidse, Premier Irakli Garibaschvili sowie Präsident Giorgi Margwelaschwili. Am Donnerstag reist der Minister in die aserbaidschanische Hauptstadt Baku weiter. Aserbaidschan verweigert „Presse“-Redakteurin Jutta Sommerbauer das Visum, weil sie 2011 Berg-Karabach besucht hatte. „Reporter ohne Grenzen“ protestierte dagegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2014)

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