Parlamentswahl: Schweden wählt weniger Marktfreiheit

(c) REUTERS (TT NEWS AGENCY)
  • Drucken

Den Schweden gingen die wirtschaftsliberalen Reformen von Premier Reinfeldt zu schnell. Jetzt steht das Land vor einem Machtwechsel.

Stockholm. Am Wahlsonntag war es in Stockholm spätsommerlich schön. Viele Stockholmer nutzten eines der letzten warmen Wochenenden vor dem langen skandinavischen Winter für ausgiebige Sonnenbäder. Nach dem Wahlgang wohlgemerkt, denn bei den Parlamentswahlen wurde mit einer Wahlbeteiligung von 80 Prozent unter den 7,3 Millionen Wahlberechtigten gerechnet.

Darunter die blonde und ausgiebig tätowierte Frida: Sie hatte es eilig, weil sie nach ihrer Stimmenabgabe in der Högalidgrundschule zu einem Kindergeburtstag wollte. „Ich werde die Sozialdemokraten wählen“, bekennt die 27-Jährige Barkeeperin. Ihr Freund steht etwas misstrauisch neben ihr. Auf seinem weißen Shirt ist ein Eisernes Kreuz abgedruckt. „Die Bürgerlichen haben Politik für den Typ Mensch gemacht, der es geldmäßig besser hat. Die Stimmung in unserem Land hat sich verändert. Sie ist härter, verzweifelter und egoistischer geworden“, sagt Frida mit funkelnden Augen.

Regierung wird abgestraft

Die ersten Hochrechnungen zeigen nun, dass eine Mehrheit von 45 Prozent den Wechsel nach links zum Spitzenkandidaten Stefan Löfven wünscht. Kaum verändert zu den vergangenen Wahlen kommen dessen Sozialdemokraten auf 31,1 Prozent. Die Grünen, mit denen er koalieren will, auf 7,1 Prozent und die Linkspartei, dessen Unterstützung Löfven ohne Regierungsbeteiligung möchte, auf 6,6 Prozent.

Ihren voraussichtlichen Wahlsieg haben die schwedischen Sozialdemokraten vor allem der Schwäche der Neuen Arbeiterpartei zu verdanken. Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt hat der einst konservativen Moderaterna 2006 den Marktliberalismus eingeimpft. Die Partei verliert laut den ersten Hochrechnungen des schwedischen Fernsehens mit 22,2 Prozent fast acht Prozent. Die Koalitionspartner in Reinfeldts „Allianz“ bleiben relativ unverändert. Die Volkspartei kommt auf sechs Prozent, das Zentrum auf 6,5 und die Christdemokraten auf fünf Prozent. Mit knapp 40 Prozent erreichen die Regierungsparteien aber ein besseres Ergebnis als lange erwartet.

Die bürgerliche „Allianz“ hat Schweden, das von 1920 bis 2006 fast ausschließlich sozialdemokratisch regiert wurde, auch im Vergleich zu weniger roten EU-Ländern im Rekordtakt marktliberalisiert. Das ging vielen schwedischen Mittewählern laut Analytikern zu schnell: Das soziale Netz wurde abgebaut, die Vermögenssteuer abgeschafft, zahlreiche staatliche Unternehmen wurden privatisiert.
Die Arbeitslosigkeit und besonders die Jugendarbeitslosigkeit von rund 20 Prozent konnte Reinfeldt trotz steuerlicher Entlastung des privaten Sektors nicht senken. Dies war eines seiner Hauptprojekte und Hauptgrund für Reinfeldts ersten Wahlsieg 2006. Die Arbeitslosenrate liegt derzeit bei für Schweden relativ hohen acht Prozent. Zudem haben Reinfeldts Steuersenkungen inzwischen ein Loch in die Haushaltskasse gerissen.

Der zum rechten Parteiflügel gehörende sozialdemokratische Spitzenkandidat und frühere Gewerkschaftschef Löfven hat nun weniger Arbeitslosigkeit, verbesserte Schulen und mehr staatliche Kontrolle des privaten Sektors sowie höhere Umverteilungssteuern versprochen. Die Hoffnung, dass er die Versprechen einhält, war für viele Schweden ausreichend Motivation, für den Wechsel zu stimmen.

Zuwachs für extreme Rechte

Während die beiden großen Volksparteien mit historisch schlechten Wahlergebnissen konfrontiert werden, profitieren vor allem die aus der Neonaziszene stammenden und sich heute als gemäßigt einwanderungskritisch gebenden Schwedendemokraten (SD). Seit 2010 sind sie im Reichstag und können nun ihre Stimmen auf 10,5 Prozent nahezu verdoppeln. Dies trotz von Medien veröffentlichten Bildern von Parteimitgliedern mit rotweißer Hakenkreuzarmbinde und häufigen braunen Äußerungen. Schweden hat derzeit die großzügigste Einwanderungspolitik Europas. Sowohl die bürgerlichen als auch die linken Parteien wollen dies so belassen und versprachen, der SD trotz deren Rolle als Zünglein an der Waage nach Möglichkeit durch blockübergreifende Kompromisse weiterhin keinen Einfluss zu lassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Schweden Wahl
Außenpolitik

Schweden: Warum Reinfeldt scheiterte

Acht Jahre versuchte der bürgerliche Premier Reinfeldt, Schweden zu liberalisieren. Das Tempo war vielen Wählern zu hoch.
Party leader Jimmie Akesson gestures in front of a poster at the election night party of the Sweden Democrats in Stockholm
Außenpolitik

Jimmie Åkesson: Meister der Polarisierung

Åkesson führte die Schwedendemokraten auf Rang drei. Ihn trug eine einwanderungskritische Welle.
Außenpolitik

Schweden: Gewerkschafter verschafft Sozialdemokraten Comeback

Schwedens Wahlsieger Stefan Löfven arbeitete sich vom Gewerkschaftsführer zum künftigen Premierminister hoch.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.