Immer mehr westliche Frauen wollen in Syrien für einen „islamischen Staat“ kämpfen. Dort erwarten sie aber nur Brutalität und Erniedrigung.
Schwestern, packt feste Schuhe ein, lasst euch impfen und bringt den Wunsch mit zu heiraten!“ Aqsa Mahmoods Reiseratschläge für junge Frauen und Mädchen, die wie sie „ihr Leben für das Kalifat“ opfern wollen, klingen fröhlich, fast so, als würde es sich um einen ausgelassenen Ausflug unter Freundinnen handeln. Die 20-jährige Schottin aus einer wohlhabenden pakistanischstämmigen Familie ist vor einem Jahr nach Syrien ausgewandert. Lang wussten ihre verzweifelten Eltern nicht, was aus ihrer Tochter wurde. Dann erhielten sie ein E-Mail: „Ich haben einen Kämpfer geheiratet. Mir geht es gut. Mein Herz ist rein.“
Aqsa postet aber auch Fotos von sich im Ganzkörperschleier, mit einer AK-47 in der Hand. Und Videos von Hinrichtungen durch ihre „Kameraden“ der IS. Den Westen „hasst“ sie. Sie stehe „zum Martyrium“ bereit, schreibt Aqsa. Britische Geheimdienste schließen nicht aus, dass sie jenen Henker, der zwei Journalisten und einen britischen Helfer enthauptet hat, persönlich kennt.
Eine von Aqsas Aufgaben besteht offenbar darin, über das Internet andere Europäerinnen für die Terrororganisation IS (Islamischer Staat) zu rekrutieren. Eine Studie des Londoner Kings College schätzt, dass sich etwa 200 westliche Frauen und Mädchen in den von der IS kontrollierten Gebieten im Irak und Syrien befinden. Durchschnittliches Alter sei 18 bis 20 Jahre – doch: „Die Frauen werden immer jünger – und es werden immer mehr“, heißt es. „Hinter der wachsenden Anzahl von Frauen steckt der professionelle Gebrauch von sozialen Netzwerken für die Rekrutierung“, schreibt der US-Thinkthank Track (Tracking Terrorism) in einer Untersuchung zu Frauen im Jihad.
Schicksal von Wienerinnen unklar
Die meisten dieser westlichen Fanatikerinnen kommen offenbar aus Großbritannien und Frankreich. Doch auch aus Österreich machen sich junge Frauen auf den Weg nach Syrien, um dort für einen islamischen Staat „zu kämpfen“. So etwa die beiden Wiener Schülerinnen Sabina Selimovic (15) und Samra Kesinovic (16), die sich seit April in Syrien aufhalten. Am Montag sorgten Berichte, dass eines der beiden Mädchen getötet worden sei, für Aufsehen: Innenministerin Johanna Mikl-Leitner wollte das aber „nicht bestätigen”. Auch auf Facebook wurde die Nachricht vom Tod eines der Mädchen dementiert.
Was die beiden bosnischstämmigen Mädchen zur Reise nach Syrien bewegt hat, ist unklar. Bekannt ist, dass sie vor ihrer Abreise Kontakt zu tschetschenischen Jugendlichen hatten. Ebenso wie bei den männlichen Jihadisten ist es eine Mischung aus Fanatismus, Hass wegen der „unfairen Behandlung der Moslems durch den Westen“, Abenteuerlust und eine diffuse, romantische Idee eines islamischen Staats, die junge Frauen und Teenager aus dem Westen in die IS-Propagandafalle tappen lässt. Zentral sei dabei, dass diese Frauen sich „am bewaffneten Jihad beteiligen wollen“, so Track. Bewusst locken die Islamisten daher mit dem Bild der „starken Mujahida“: So kursieren im Netz Fotos von verschleierten Frauen in kämpferischer Pose, die martialisch eine AK-47 in den Händen halten, oder Bilder, in denen eingehüllte Frauen ihren Männern helfen, ein Sturmgewehr zu laden.
Doch die Realität sieht anders aus: Die Extremisten missbrauchen ihre „Rekrutinnen“ für eigene Zwecke. Als erstes werden Frauen – egal wie alt – „verheiratet“: Laut der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte gibt es in der von den Extremisten kontrollierten nordsyrischen Stadt al Bab ein eigenes Vermittlungsbüro, über das sich IS-Kämpfer „unverheiratete Frauen oder Witwen“ aussuchen können. De facto ist die Frau dann völlig der Willkür ihres Mannes ausgesetzt. Die Aufgaben der Mujahida beschreibt eine IS-Aktivistin unter dem Pseudonym Umm Layth (vermutlich eine Britin) im Internet wie folgt: „Wir bleiben zu Hause, kochen, schauen auf die Kinder und sorgen für das Wohl unserer Ehemänner. Wenn dein Mann Zeit und Lust hat, kann er dich zum Markt begleiten oder ins Internetcafé. Wenn er es dir erlaubt, darfst du mit den Schwestern einkaufen gehen.“
Britinnen koordinieren Propaganda
Britische „Kämpferinnen“ (die eine privilegierte Position zu haben scheinen) „dürfen“ zudem die IS-Propaganda im Netz koordinieren – von daheim natürlich. Und so sind es maßgeblich westliche Frauen, die für Imagepflege der IS im Internet zuständig sind: „Diese Videogame-Generation hat es geschafft, eine brillante Online-Kommunikationsstrategie zu entwickeln – indem das Bild des moralisch korrupten Westens im Mittelpunkt der Propaganda steht“, sagt Kommunikationsexpertin Sasha Havlicek dem „Guardian“. „Zentral ist dabei die Vermischung von Hardcore-Brutalität mit sanften Elementen: Wie im Videospiel.“
Diese fragwürdige Hausfrauenidylle mitten im Kalifat stellt freilich ein verzerrtes Bild der Realität dar: Frauen und Kinder werden von den IS-Kämpfern zwangsverheiratet, vergewaltigt, gefoltert, missbraucht – und weiterverkauft. Besonders zynisch ist dabei der – von den Islamisten selbst dementierte – Begriff des „sexuellen Jihad“: Dabei sollen Mädchen und Frauen zu sexuellen Diensten gezwungen werden – mit der Begründung, dies sei eine Form des Heiligen Kriegs. Opfer sind meist Frauen und Mädchen aus Gebieten, die von der IS erobert werden. Wochenlang sexuell missbraucht wurde etwa ein 12-jähriges syrisches Mädchen, das laut der Beobachtungsstelle für Menschenrechte die Grausamkeiten der Extremisten beschrieb: Ihr Vater hatte sie den Islamisten verkauft, die sie in ihrem Zimmer vergewaltigten, oft mehrere Männer gleichzeitig. Das Kind wurde dabei immer wieder bewusstlos. Der Vater sagte, dies sei ihr Beitrag zum Jihad. Durch einen Zufall konnte die Kleine fliehen.
Gefürchtete Frauenbrigade in Raqqa
Doch die Islamisten scheinen auch eine Frauenbrigade aufgestellt zu haben: Laut Berichten, die sowohl die Forscher des Kings College als auch die Experten vom Thinkthank Track als glaubwürdig einschätzen, agiert die al-Khansaa-Brigade seit Februar in der von der IS besetzten nordsyrischen Stadt Raqqa. Aufgabe der Mitglieder der gefürchteten Einheit ist es zu kontrollieren, ob sich unter dem Ganzkörperschleier männliche Spione verstecken. Oder Frauen zu bestrafen, die nicht „islamisch“ gekleidet oder von einem Mann begleitet werden. Augenzeugen berichten von brutalen Übergriffen dieser Truppe, deren Mitglieder offenbar vor allem 18-bis 25-jährige Britinnen sind. Die schottische Studentin Aqsa Mahmood scheint eine führende Position zu haben.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2014)